Marschfeuer - Kriminalroman
Rucksack ihrer Schwester, um sie zu
überholen.
Kopfschüttelnd nahm Lyn
den Autoschlüssel aus der Kristallschale auf dem Flur und griff nach Jacke und
Tasche. Ein letzter Blick in den Flurspiegel ließ sie innehalten. Sie öffnete
ihre Handtasche und wühlte das Fläschchen »Jil Sander« heraus.
»Pheromonunterstützung kann im Moment nicht schaden«, murmelte sie ihrem
Spiegelbild zu und sprühte eine großzügige Menge in ihr Haar.
Auf dem Weg zum Wagen
fiel ihr Blick auf den Mann, der ihr durch die nun offen stehende
Friedhofspforte entgegenkam. »Herr Martens!«, rief sie erstaunt aus, als sie
ihn erkannte. »Was machen Sie denn hier?«
»Ich hab mir Ihre
Adresse gerade telefonisch von Wilfried Knebel durchgeben lassen. Dessen
Handynummer hab ich nämlich.« Sein Blick wechselte zu den Gräbern und der
Kirche. »Wie können Sie hier wohnen?«
»Mein Vater hat dieses
Haus für mich ausgesucht, als ich noch in Bayern lebte. Es ist vielleicht
nichts für ängstliche Naturen. Aber ich habe es nicht bereut. Dieser Ort
strahlt eine große Idylle und Frieden aus. Man muss es nur sehen. Und fühlen.«
Sein Lachen klang nicht
fröhlich. »Mag an meiner Situation liegen, dass Gräber im Moment wenig
Anziehungskraft auf mich ausüben.«
Es war Lyn im gleichen
Moment peinlich, aber ihre Hand hatte nach diesem Satz automatisch nach seiner
gegriffen. Schnell ließ sie sie wieder los. »Es tut mir leid. Wie dumm müssen
Ihnen meine Worte vorkommen.«
»Ihre Worte waren alles
andere als dumm.« Jetzt lächelte er. »Sollte mich der Krebs dahinraffen, werde
ich mir überlegen, mich hier bestatten zu lassen. Sie wären meine unbedingte
Wunschnachbarin, Lyn Harms.«
Lyn spürte, wie ihr das
Blut in die Wangen schoss. Auf Thomas Martens schienen ihre Pheromone zu
wirken. »Ein Grund mehr, gesund zu werden, Herr Martens«, nahm sie seinen
Galgenhumor an. »Als Nachbarin kann ich schrecklich nervig sein. Mir fehlt
immer ein Ei, eine Filtertüte … Sie würden nicht zur Ruhe kommen.«
Jetzt griff er nach
ihrer Hand. Lachend. »Warum sagen wir nicht Du? Ich bin Thomas.«
»Lyn.«
»Schön, Lyn. Dann kommen
wir jetzt zu hässlicheren Dingen. Beruflichen Dingen.«
»Dann solltest du
vielleicht erst einmal meine Hand wieder loslassen?« Sie lächelte ihn an.
»Ungern.« Er zwinkerte
ihr zu, während er seine Hand löste. Dann änderte sich sein Augenausdruck. »Das SG 1 wurde alarmiert, weil an der Stör ein Toter gefunden wurde. Als ich
einen Blick auf seinen Ausweis geworfen habe, hielt ich es für ratsam, eure
Abteilung einzuschalten. Der junge Mann ist für euch kein Unbekannter.«
»Von wem redest du?«,
fragte Lyn alarmiert.
»Kevin Holzbach.«
»Was?« Lyn verlor für
einen winzigen Moment die Fassung und schüttelte den Kopf, als müsse sie die
Information so an die richtige Stelle ihres Hirns befördern. »Gonzo? … Gonzo
ist tot?«
»Wenn das sein Spitzname
war … ja.«
»Was ist passiert? Ich
meine, wie ist er–«
»Wir können noch nichts
sagen«, fiel Thomas Martens ihr ins Wort. »Wie es aussieht, ist er mit dem Kopf
auf einen Stein aufgeschlagen. Auf einem Stack neben dem Störwanderweg. Er
hatte Angelzeug bei sich.«
»Mein Gott …« Lyn
schüttelte wieder den Kopf.
Die Autotür des Beetle
wurde geöffnet und Charlottes Stimme schallte über den Friedhof. »Kommst du
endlich, Mama? Wir müssen los. Krümel schreibt in der ersten Stunde Mathe.«
»Gleich!«, rief Lyn
zurück. »Komm«, sagte sie und zog Thomas Martens am Arm Richtung Friedhofstor.
»Kevin Holzbach ist … war«, verbesserte sie sich, »in der Clique meiner
Tochter. Charlotte war jetzt nicht dicke mit ihm, aber sie ist mit seiner
Freundin befreundet. Ich … ich möchte ihr jetzt nichts davon sagen. Sie wird es
noch früh genug erfahren.«
Am Auto zog Lyn die
Beifahrertür auf. »Steigt bitte aus. Wir müssen überlegen, wie wir euch zur
Schule kriegen. Ich … ich habe hier in Wewelsfleth einen Fall zu bearbeiten.
Herr Martens ist ein Kollege und hat mich eben informiert.«
»Boah, das ist doch
ätzend!« Charlotte stieg genervt aus. »Der Bus ist lange weg. Und in diesem
Kaff fährt nach sieben ja keiner mehr. Wie, bitte schön, sollen wir jetzt zur
Schule kommen?«
»Können wir nicht
einfach zu Hause bleiben?«, versuchte Sophie ihr Glück. »Ich kann meinem
Mathelehrer doch sagen, dass das höhere Gewalt war oder wie das heißt. Ich kann
diesen doofen Dreisatz sowieso nicht.«
»Ich werde euch ein Taxi
rufen. Aber selbst
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