Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
geraten. In einem Ort namens Four-de-Buze hatte ich an einer Telefonzelle angehalten. »Gib mir nur noch eine Stunde«, bat ich.
»Was!«
»Eine Stunde noch.«
Er tobte erneut. Er hatte Recht, aber es war langweilig. Ich wartete. Hörte nicht zu. Sagte kein Wort.
»He! Montale, bist du noch dran?«
»Tu mir einen Gefallen. Ruf mich in einer Viertelstunde an. Bei Pertin auf dem Revier.«
»Warte. Das musst du mir erst mal erklären?«
»Lohnt sich nicht. Ruf mich nur an. Dann komme ich auch ganz bestimmt. Lebend, meine ich.« Ich legte auf.
Manchmal ist es besser, möglichst wenig zu erklären. Für den Moment kam ich mir vor wie ein Holzpferd auf dem Karussell. Ich drehte mich im Leerlauf. Niemand überholte mich. Ich überholte niemanden. Wir landeten immer wieder am Ausgangspunkt. In diesem verdammten Jammertal von Welt.
Ich rief Gélou an.
»Zimmer Nummer 406, bitte.«
»Ich verbinde.« Schweigen. »Tut mir Leid, Madame und Monsieur Narni sind ausgegangen. Ihr Schlüssel hängt am Brett.«
»Sie haben nicht zufällig eine Nachricht für mich hinterlassen? Montale. Fabio Montale.«
»Nein, Monsieur. Möchten Sie eine hinterlegen?«
»Sagen Sie ihnen nur, dass ich gegen zwei, halb drei noch einmal anrufen werde.«
Narni. Fein, dachte ich. Der Morgen war nicht ganz verloren Jetzt wusste ich immerhin Alexandres Nachnamen. Damit konnte ich verdammt viel anfangen!
Als ich das Revier betrat, sprang mir als Erstes ein Aufruf ins Auge, bei den Gewerkschaftswahlen der Polizei den Front National zu wählen. Als ob das Plakat der Polizeigewerkschaft nicht schon ausreichte.
Ein mit Heftzwecken daran befestigtes Flugblatt proklamierte: »Die Aufrechterhaltung der Ordnung wird von den Führungskräften zu lasch betrieben. Wir sind gezwungen, Auseinandersetzungen weitgehend zu vermeiden und halbherzige Befehle zu erteilen.
Effizienz und Durchschlagskraft sind gesunken, die Anzahl der Verletzten in unseren Reihen ist gestiegen. Lachende Dritte sind die Kriminellen, die ihre Beute nur noch einzusammeln brauchen.
Dieser nihilistischen Neigung in unseren Abteilungen muss Einhalt geboten werden. Der Gegner muss Angst bekommen. Vor allem muss deutlich werden, dass Demonstranten keine braven Bürger sind, sondern Abschaum, der gekommen ist, um › Bullen aufzumischen ‹ . Sorgen wir dafür, dass wir schlagen und nicht geschlagen werden!«
Wenn man sich ernsthaft informieren wollte, kam letztendlich nichts einem Umweg über ein Polizeirevier gleich. Das war besser als die Abendnachrichten!
»Das ist gerade rausgekommen«, sagte Babar in meinem Rücken.
»Es lebe die Rente, nicht wahr!«
»Du sagst es. Das alles stinkt gewaltig.«
»Ist er da?«
»Hm ja. Aber man könnte meinen, er leidet unter Hämor r hoiden. Hält es nicht auf seinem Stuhl aus.«
Ich trat ein, ohne anzuklopfen.
»Nur keine Hemmungen!«, grummelte Pertin.
Ich nahm ihn beim Wort, setzte mich und steckte mir eine Zigarette an. Er wanderte einmal um den Schreibtisch, stützte sich mit den flachen Händen darauf und hielt mir sein rotes Gesicht entgegen. »Was verschafft mir die Ehre?«
»Ich hab mich blöd verhalten, Pertin. Neulich. Du weißt schon, als sie Serge umgelegt haben. Wenn ichs mir recht überlege, würde ich meine Aussage doch gern unterschreiben.«
Er richtete sich verblüfft auf. »Erzähl keinen Unsinn, Montale. Schwulengeschichten locken niemanden hinterm Ofen hervor. Es sind die Nigger und Kameltreiber, mit denen wir uns ernsthaft befassen müssen. Du hast ja keine Ahnung! Als ob diese Kröten den Richtern den Schwanz lutschen würden. Morgens fängst du einen, und abends ist er schon wieder frei ... Also hör auf!«
»Das meine ich eben, verstehst du. Vielleicht war das keine Geschichte zwischen Schwulen, die ein böses Ende genommen hat. Vielleicht war Serges Tod eher die Folge von Araberaffären. Denkst du nicht?«
»Und was sollte Serge mit ihnen zu tun gehabt haben?«, blaffte er unschuldig.
»Das müsstest du eigentlich wissen, Pertin. Dir entgeht doch nichts. Schließlich bist du ein verdammt gut informierter Bulle. Oder etwa nicht?«
»Komm auf den Punkt, Montale.«
»Gut, ich werde es dir erklären.«
Er setzte sich, kreuzte die Arme vor der Brust und wartete. Ich hätte gern gewusst, woran er hinter seiner Ray-Ban-Brille dachte. Aber ich ging jede Wette ein, dass er mir mit Freuden die Fresse poliert hätte.
Ich tischte ihm eine Geschichte auf, die ich selber nur zur Hälfte glaubte. Aber eine plausible
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