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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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Geschichte. Serge war vom Verfas - sungs sc hutz »angeheuert« worden. Weil er pädophil war. Zumindest hatte man ihm das anhängen können.
    »Interessant.«
    »Aber es kommt noch besser, Pertin. Du wusstest, dass der Verfassungsschutz einen Spitzel in die Vorstädte geschickt hatte, um eventuelle Netze à la Kelkal zu entschärfen. Seit es überall wie in Paris und Lyon zu offenen Aufständen kam, ist mit denen nicht mehr zu spaßen. Aber Serges Rolle dabei hast du erst vor ein paar Monaten erfahren. Als Serge › ausgestiegen ‹ war und die Staatsschützer ihn aus den Augen verloren haben. Niemand wusste, wo er wohnte. Ich kann mir die Aufregung vorstellen.«
    Ich legte eine Pause ein. Nur um meine Gedanken neu zu ordnen. Denn so musste es gewesen sein. Schwul oder nicht, die Jungs und Mädchen der Vorstädte waren Serges Leben gewesen. Er konnte sich nicht einfach so von heute auf morgen geändert haben. Unparteiisch werden. Die Jugendlichen am »Rande der Gesell - schaft« ausspionieren. Alle potenziellen Kelkals, und sie dann bei den Bullen anschwärzen. Die sie dann nur noch ‒ höchst medienwirksam, das verstand sich von selbst ‒ morgens aus dem Bett zu holen brauchten.
    Es hatte schon ein paar tolle Razzien gegeben. In Paris, in den Vorstädten von Lyon. Auch einige Festnahmen in Marseille. Am Hafen. Und am Cours Belsunce. Aber natürlich keine dicken Fische. Die Netze der Terroristen in den nördlichen Vierteln wurden nicht angetastet. Man hob sie sicher als Bonbon auf.
    Davon war ich überzeugt. So etwas hätte Serge nie gemacht. Nicht einmal, um Prozess und Knast zu entgehen. Der Schande. Jeder Typ, dessen Namen er den Bullen preisgegeben hätte, wäre zum Ab - schuss freigegeben gewesen. Immer die gleiche Geschichte, er kannte sie auswendig. Die hohen Tiere, die Chefs und Geldgeber kamen immer davon. Es waren die Kleinen, die lebenslänglich kriegten. Wenn nicht eine Kugel in den Kopf.
    Man konnte das Schweigen mit dem Messer schneiden. Ein zentnerschweres Schweigen. Vergiftet. Pertin hatte keinen Mucks von sich gegeben. Er musste hart nachdenken. Ich hatte mehrmals das Telefon klingeln hören. Auf seinem Schreibtisch war kein Gespräch angekommen. Loube t hatte mich vergessen. Oder er w ar ernsthaft wütend auf mich. Jetzt, wo ich einmal hier war, blieb mir nichts anderes übrig, als weiterzumachen.
    »Soll ich weiterreden?«, fragte ich.
    »Ich bin beeindruckt.«
    Ich fuhr also fort. Mir war halbwegs klar, dass meine Sicht der Dinge den Tatsachen sehr nahe kam. Eine Wahrheit, an der ich mich festklammerte.
    Serge hatte sich etwas in den Kopf gesetzt, was noch niemand gewagt hatte. Er suchte die jungen Leute auf, die auf dem Kelkal-Kurs waren, und sprach mit ihnen. Dann mit ihren Eltern, Brüdern und Schwestern. Gleichzeitig informierte er die anderen Jugend - lichen. Damit sie sich einmischten. Damit alle in den Vorstädten sich einmischten. Wie Anselme. Das chourmo— Pri nzip.
    Serge hatte das jahrelang praktiziert. Es war eine gute, wirksame Methode. Er hatte hervorragende Ergebnisse damit erzielt. Die jungen Leute, die für die Bärtigen arbeiteten, waren nicht anders als die Kriminellen, mit denen er zuvor zu tun gehabt hatte. Aber durch den Knast abgehärtet. Auch aggressiver. Und besessen vom Koran als großem Befreier. Fanatisch. Wie ihre arbeitslosen Brüder in den Vorstädten Algiers.
    Serge war in den Vorstädten allgemein bekannt. Man hörte ihm zu. Man vertraute ihm. Anselme hatte es auf den Punkt gebracht: »Der Typ war in Ordnung.« Er hatte die besseren Argumente, weil er das System zur Rekrutierung junger Beurs Stück für Stück ausein - ander genommen hatte. Krieg den Dealern, zum Beispiel. Sie waren aus Plan d'Aou vertrieben worden, ebenso aus Savine. Alle Welt hatte applaudiert. Das Rathaus, die Zeitungen. »Das sind brave Jungs ...« Wie wenn sie von »edlen Wilden« gesprochen hätten. Aber der Handel mit Heroin war dadurch nicht zurückgegangen. Er hatte sich verlagert. Ins Stadtzentrum. Neu strukturiert. Aber am grass und den anderen Dingen hatte sich nichts geändert. Ein kleines Pfeifchen, ein kurzes Gebet ‒ das fü gte sich nach wie vor in Allahs Weltordnung.
    Die Dealer wurden jetzt von eben denjenigen kontrolliert, die jungen Leute dazu aufforderten, sie zu bekämpfen.
    Serges Aufzeichnungen hatte ich entnommen, dass eine der Ge - betsstätten ‒ der Hinterraum eines Tuchhändlers nahe der Place d'Aix ‒ als Treffpunkt für Dealer diente. Den Lieferanten der

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