Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
begehre Sie ganz fürchterlich.«
Ihre Augen leuchteten auf.
Es lag alles drin.
Ich rührte mich nicht.
»Ich auch«, hauchte sie mit beinahe reglosen Lippen.
Diese Frau verstand es, mir die Würmer aus der Nase zu ziehen, einen nach dem anderen. Wenn sie mich in dem Augenblick gefragt hätte, wann Babette in Marseille ankommen und wo ich sie treffen sollte, hätte ich es ihr gesagt.
Aber sie hat mich nicht gefragt.
»Ich auch«, wiederholte sie. »Ich hatte im gleichen Moment Lust, glaube ich. Als wenn ich darauf gewartet hätte, dass Sie in dieser Sekunde anrufen ... Das hatte ich im Sinn, als ich Ihnen sagte, dass ich Sie aufsuchen würde. Mit Ihnen zu schlafen. Diese Nacht in Ihren Armen zu verbringen.«
»Und unterwegs haben Sie Ihre Meinung geändert?«
»Ja«, sagte sie lächelnd. »Meine Meinung habe ich geändert, nicht die Lust.«
Sie bewegte ihre Hand ganz langsam auf mich zu und streichelte meine Wange mit den Fingerspitzen. Streifte sie. Meine Wange glühte um einiges heftiger als nach ihrer Ohrfeige.
»Es ist schon spät«, murmelte sie leise.
Sie lächelte. Ein müdes Lächeln.
»Und ich bin müde«, fügte sie hinzu. »Aber es hat ja alles keine Eile, nicht wahr?«
»Das Schreckliche ist«, versuchte ich zu scherzen, »dass alles, was ich Ihnen sagen kann, sich immer gegen mich wendet.«
»Das ist eins der Dinge, woran Sie sich bei mir gewöhnen müssen.«
Sie nahm ihre Handtasche.
Ich konnte sie nicht zurückhalten. Wir hatten jeder etwas zu tun. Das Gleiche oder beinahe. Aber wir gingen nicht den gleichen Weg. Sie wusste das und hatte es, so schien es, schließlich akzeptiert. Es war nicht mehr nur eine Frage des Vertrauens. Das Vertrauen bedeutete uns zu viel, dem anderen gegenüber. Wir mussten ganz in uns selbst dringen. In unsere Einsamkeiten. Unsere Begierden. Am Ende gab es vielleicht eine Wahrheit. Den Tod. Oder das Leben. Die Liebe. Eine Liebe. Wer konnte das schon wissen?
Ich berührte den Ring von Didier Perez abergläubisch mit dem Daumen. Und ich rief mir seine Worte ins Gedächtnis zurück: »Was geschrieben steht, steht geschrieben, wie dem auch sei.«
»Sie sollen eins wissen, Montale«, sagte sie an der Tür. »Der Lauschangriff kommt von der Polizeidirektion. Aber ich habe nicht herausfinden können, seit wann.«
»Etwas in der Richtung hatte ich mir schon gedacht. Und das heißt?«
»Genau wie Sie gedacht haben. Dass ich gleich einen detaillierten Bericht über diese beiden Morde anfertigen muss. Die Gründe. Die Mafia und so weiter ... Es war der Gerichtsmediziner, der den Zu - sammenhang hergestellt hat. Ich bin nicht die Einzige, die sich für die Technik der Verbrechen der Mafia interessiert. Er hat seine Schlussfolgerungen an meinen Vorgesetzten weitergegeben.«
»Und die Disketten?«
Sie ärgerte sich über die Frage. Ich konnte es ihren Augen ansehen.
»Reichen Sie sie mit ein«, sagte ich schnell. »Mit Ihrem Bericht. Nichts beweist, dass Ihr Vorgesetzter nicht in Ordnung ist, oder?«
»Wenn ich es nicht täte«, antwortete sie monoton, »würde ich gelyncht.«
Wir sahen uns noch den Bruchteil einer Sekunde an.
»Schlafen Sie gut, Hélène.«
»Danke.«
Wir konnten uns nicht die Hand reichen. Wir konnten uns auch nicht umarmen. Hélène Pessayre ging, wie sie gekommen war. Nur dass die Fronten jetzt klar waren.
»Sie rufen mich an, nicht wahr, Montale?«, fragte sie noch.
Denn es war nicht leicht, so auseinander zu gehen. Es war ein bisschen, als würden wir uns verlieren, bevor wir uns gefunden hatten.
Ich nickte und sah ihr nach, wie sie über die Straße zu ihrem Auto ging. Einen Augenblick lang stellte ich mir vor, was ein weicher, zärtlicher Kuss bedeutet hätte. Unsere Lippen vereint. Dann dachte ich an die beiden Typen von der Mafia und die beiden Flics , wie sie ein verschlafenes Auge öffneten, als Hélène Pessayre vorüberging, und sich beim Wiedereinschlafen fragten, ob ich mit der Kommis - sarin gevögelt hatte oder nicht. Das verjagte alle erotischen Gedan - ken aus meinem Kopf.
Ich schenkte mir einen Tropfen Lagavulin ein und legte das Album von Gianmaria Testa auf.
Un po'di là del mare c'è una terra sincera
come gli occhi di tuo figlio quando ride ...
Worte, die mich für den Rest der Nacht begleiteten. Nicht weit hinter dem Meer gibt es ein aufrichtiges Land, wie die Augen von deinem Sohn, wenn er lacht.
Sonia, ich werde deinem Sohn das Lachen wiedergeben. Ich tue es für uns, für das, was zwis chen dir und mir
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