Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
Militär. Beide sehen fies aus. Der Militärische hat komische Augen.«
Morvan und Wepler.
»Hast du sie oft gesehen?«
»Nur einmal. Aber ich habe sie nicht vergessen. Toni und ich tranken ein Glas auf der Terrasse der Bar de l'Hôtel de Ville. Sie haben sich an unseren Tisch gesetzt, ohne zu fragen, ob sie störten. Der Soldat hat gesagt: › Hast du aber eine süße Schwester .‹ Es hat mir nicht gefallen, wie er das gesagt hat. Und auch nicht, wie er mich angesehen hat.«
»Und Toni?«
»Er hat gelacht, aber er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, glaube ich. › Wir haben was Geschäftliches zu besprechen ‹, sagte er. Das war eine Aufforderung an mich zu verschwinden. Er hat nicht einmal gewagt, mich zu küssen. › Ich ruf dich an ‹ , hat er gesagt. Ich spürte den Blick des anderen in meinem Rücken. Ich habe mich geschämt.«
»Wann war das?«
»Letzte Woche, Mittwoch. Mittwochmittag. Dem Tag, an dem Leila ihre Prüfung hatte. Was machen wir jetzt?«
Driss hatte Karines Hand losgelassen und sich umgedreht. Er schnarchte leicht. Ab und zu durchfuhr ihn ein Schauer. Er tat mir Leid. Beide taten mir Leid. Sie würden mit diesem Albtraum leben müssen. Würden sie es schaffen, Karine und Driss? Kader und Yasmine? Ich musste ihnen helfen. Sie von diesen elenden Bildern befreien, die sie bis in den Schlaf verfolgen würden. Schnell. Driss zuerst.
»Was machen wir jetzt?«, wiederholte Karine.
»Hier verschwinden. Wo sind deine Eltern?«
»In Gardanne.«
Das war nicht weit von Aix. Die letzte Stadt des Departements, i n der noch Bergbau betrieben wurde. Dem Untergang geweiht, wie all die Männer, die dort arbeiteten.
»Dein Vater arbeitet da?«
»Sie haben ihn vor zwei Jahren gefeuert. Er arbeitet jetzt für das Rechtsschutzkomitee der kommunistischen Gewerkschaft.«
»Kommst du mit ihnen aus?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich bin aufgewachsen, ohne dass sie es gemerkt haben. Toni auch. Uns auszubilden, hieß eine bessere Welt schaffen. Mein Vater ...« Sie hielt nachdenklich inne. Dann fuhr sie fort: »Wenn du zu viel gelitten, zu lange jeden Franc umgedreht hast, geht das Leben an dir vorbei. Du willst es nur noch ändern. Wie besessen. Toni hätte das verstehen können, glaube ich. Statt ihm zu sagen, ich kann dir kein Mofa bezahlen, hat mein Vater ihm einen Vortrag gehalten. Dass er in seinem Alter auch kein Mofa hatte. Dass es Wichtigeres im Leben gab als Mofas. Der ganze Zinnober, verstehst du. Es war jedes Mal das Gleiche. Vorträge über Proletarier, Kapitalisten, die Partei. Über Klamotten, Taschengeld, das Auto ... Als die Bullen das dritte Mal zu uns nach Hause kamen, hat mein Vater Toni rausgeschmissen. Ich weiß nicht, was danach aus ihm geworden ist. Das heißt, ich weiß es doch. Es hat mir nicht gefallen. Wie er drauf war. Die Typen, mit denen er zusammen war. Ihre Bemerkungen über die Araber. Ich weiß nicht, ob sie wirklich so dachten. Oder ob ...«
»Und Leila?«
»Ich wollte, dass er meine Freunde trifft. Damit er andere Leute kennen lernt. Yasmine, Leila. Er war ihnen ein-oder zweimal begeg - net. Kader und Driss auch. Und noch einigen anderen. Ich habe ihn letzten Monat zu meinem Geburtstag eingeladen. Du weißt, wie das ist. Man tanzt, trinkt, quatscht und flirtet. Er hat sich viel mit Leila unterhalten, an dem Abend. Er wollte sie natürlich abschleppen, das ist klar. Aber Leila wollte nicht. Sie ist zum Schlafen hier geblieben, mit Driss.
Er hat sie später wieder gesehen. Vier, fünf Mal, glaube ich. In Aix. Ein Gläschen auf einer Terrasse, Essen, Kino. Mehr war da nicht. Leila hat das für mich getan, glaube ich. Mehr als für ihn. Sie mochte Toni nicht besonders. Ich hatte ihr viel von ihm erzählt. Dass er nicht so war, wie es schien. Ich habe sie ihm in die Arme getrieben. Ich sagte mir, dass sie ihn ändern könnte. Mir gelang es nicht. Ich wollte einen Bruder, für den ich mich nicht zu schämen brauchte. Den ich hätte lieben können. Wie Kader und Driss.« Ihre Augen blickten irgendwo in die Ferne. Zu Leila. Zu Toni. Ihr Blick kam wieder zu mir zurück. »Ich weiß, dass Leila Sie geliebt hat. Sie hat oft von Ihnen gesprochen.«
»Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, Sie nach ihrer Prüfung anzurufen. Sie war sicher, bestanden zu haben. Sie wollte Sie wiedersehen. Sie hat gesagt: Jetzt kann ich. Jetzt bin ich erwachsene«
Karine lachte, dann kamen die Tränen wieder, und sie schmiegte sich an mich.
»Schon gut«, sagte ich. »Es wird alles wieder
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