Marsha Mellow
doch nicht gesehen.
»... Wie auch immer, was ist denn so Schlimmes passiert, dass du unbedingt das Weite suchen musstest?« Ihr Ton klingt herablassend und signalisiert mir, was sie wirklich denkt: »Was soll schon in deinem bescheidenen Leben Schlimmes passieren?« und »Im Gegensatz zu dir habe ich ernsthafte Sorgen«. Vielleicht hat Ant ja Recht. Vielleicht sollte ich die Karten auf den Tisch legen - dann weiß sie, was ernsthafte Sorgen sind.
Zudem verspüre ich nach wie vor einen Rest von Euphorie in mir, die Nachwirkung des Ecstasys, genau wie mein neu gewonnenes Selbstbewusstsein - es dürfte noch reichen, um das zu überstehen.
Genau. Ich schaffe das. Dann mal los.
»Mum, ich muss dir was sagen ...«
Ich schaue Ant an, der mir ermunternd zunickt.
»... Etwas, das ich dir schon seit langem sagen wollte. Du wirst es bestimmt nicht glauben ...«
Das kommt mir doch bekannt vor? Genau dieselben Worte wie beim letzten Versuch vor dem Sonntagsbraten bei meinen Eltern zu Hause. Aber dieses Mal komme ich zur Sache.
»... Es ist einfach unglaublich«, sage ich weiter.
Ants ermunterndes Nicken hört gar nicht mehr auf, wie ein Wackeldackel.
»... Und wenn du den Anfangsschock erst einmal verdaut hast, wirst du bestimmt begeistert sein ...«
Ich habe den Eindruck, ich rede um den heißen Brei herum - typischer Ecstasy-Laberflash. Muss endlich zum Wesentlichen kommen.
»... Es geht um Ant...«
Ants Brauen schießen in die Höhe, als hätten sie einen Raketenantrieb.
»... Er ist nämlich schwul.«
O ja, das lief grandios. Geradezu traumhaft.
Mit diesem kurzen Satz habe ich nicht nur die ewigen Vorurteile meiner Mutter gegenüber katholischen Priestern aufs Neue bestätigt, sondern zudem ihren Wunschtraum zerschlagen, in ein Kloster einzutreten und ihr restliches Leben in frommer Besinnung zu verbringen. Nein, der Satz kam bei ihr gar nicht gut an.
Wenigstens ist Ant jetzt aus dem Schneider. Jetzt braucht er sich nicht mehr das Gehirn nach Bibelzitaten zu zermartern, nachdem er das einzige Schäfchen seiner Gemeinde verloren hat. Höchstwahrscheinlich wird er meine Mutter sogar nie wieder zu Gesicht bekommen, und falls doch, dann nur für einen kurzen Moment, bevor der abgerichtete Kampfhund über ihn herfällt, der sie eigens zu diesem Zweck begleiten wird.
»Ich habe dir Rührei, Bacon, Pfannkuchen und Kartoffelpuffer bestellt, zusammen mit einem Liter Ahornsirup darüber. Weiß zwar nicht, ob das hilft, aber schaden kann es nicht«, meint Ant und setzt sich an unseren Tisch am Fenster - wir befinden uns in einem Diner gegenüber vom Seminar.
»Der Albtraum wird immer schlimmer, Ant«, jammere ich. »In knapp drei Stunden muss ich in den Flieger steigen und mich mit... dieser ganzen Scheiße auseinander setzen.«
»Das wird zwar hart, Amy, aber ich weiß, dass du das schaffst«, entgegnet er und nimmt meine Hand. »Sag es ihr... Allein schon deswegen, weil es das einzige Geheimnis ist, mit dem du sie tatsächlich treffen kannst. Es wird ohnehin nicht lange dauern, bis es publik wird und sie es erfährt. Und dann löst sich alles in Wohlgefallen auf. Dieser miese Typ hat nichts mehr in der Hand, womit er dich erpressen kann, die Mail kann schreiben, was immer sie will -«
»Ant, ich kann es ihr nicht sagen. Das hast du doch eben live erlebt. Im entscheidenden Moment mache ich immer einen Rückzieher.«
»Ich erzähl dir jetzt was. Bestimmt regst du dich gleich fürchterlich auf, aber irgendwie halte ich es trotzdem für sinnvoll. Im Grunde dürfte ich dir das gar nicht anvertrauen ... Du weißt ja, mein Schweigegelübde und so ...«
Die Beichte. An die habe ich gar nicht mehr gedacht.
»Deine Mutter hatte nämlich eine Affäre.«
Ich falle beinahe von der Sitzbank. Das ist schlichtweg undenkbar . Das ist sogar noch undenkbarer als die völlig undenkbare Vorstellung, dass mein Vater eine Affäre hat. Die Haltung meiner Mutter in punkto außerehelichem Sex ist derart unerbittlich, dass sie ernsthaft in Erwägung zog, zu den Republikanern überzulaufen, als Prinzessin Di damals Charles und Camilla öffentlich des Ehebruchs bezichtigte. Ich kann mich noch lebhaft an die Szene erinnern: Mum, wie sie ständig vor sich hin brabbelte »Ein Ehebrecher ist kein würdiger Thronfolger für Großbritannien« (wobei sie geflissentlich übersah, dass wir in der Vergangenheit schon ein paar davon zum König hatten) und ihre komplette Sammlung von königlichen Devotionalien wegräumte. Wie sie Dad dazu zwang,
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