Marsha Mellow
ihr morgen beim Mittagessen sagen.«
Das sonntägliche Mittagessen Chez Mum ist ein heiliges Ritual. Es findet am ersten Sabbat im Monat statt. Es ist zwar jedes Mal eine Qual, dorthin zu gehen, aber es einfach sausen lassen ist so, als würde man sein eigenes Todesurteil unterschreiben.
»Komm schon, Amy, gemeinsam schaffen wir das. Das ist wie die Bikinizone mit Wachs zu enthaaren. Am Anfang brennt es noch höllisch, aber wenn man die Babylotion draufschmiert, schwebt man im siebten Himmel vor Glück.«
Ich weiß ja, dass sie Recht hat. Das ist mir eigentlich schon lange klar, wenn ich ehrlich bin - was in letzter Zeit verdammt selten vorkommt. Ich muss endlich mein Versteck verlassen, bevor ich noch darin ersticke.
»Also gut«, sage ich bedächtig, »ich werde darüber nachdenken ... Aber du musst deine Mitschuld zugeben.«
»Vergiss es. Ich bin keine Schriftstellerin. Ich wüsste auch nicht, inwiefern ich dazu beigetragen haben könnte.«
»Du weißt genau, was ich meine.«
Womit ich, ihrem entsetzten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, Recht habe.
KAPITEL 5
Die Hölle muss eine Vier-Zimmer-Doppelhaushälfte mit einem braunen Rover und blühenden Hortensien im Vorgarten sein. Dieser Gedanke beschäftigt mich kurz, während ich zu Fuß auf dem Ripon Drive in North Finchley zu dem Haus unterwegs bin, in dem ich die ersten 22 Jahre meines Lebens verbracht habe. Die Szenerie könnte nicht beschaulicher sein. Der Himmel ist hellgrau, zwei Tauben scharren im Bordstein und eine andere kackt gerade auf das Wagendach meines Vaters. Bestimmt versucht der Teufel, mich in falscher Sicherheit zu wiegen, aber ich bin weit davon entfernt, mich sicher zu fühlen.
Bevor ich ging, habe ich Ant angefleht, mich zu begleiten. »Normalerweise liebend gern, Amy, aber ich würde alles nur noch schlimmer machen. Länger als fünf Minuten in der Gesellschaft deiner Mutter überlebe ich nicht, seit du ihr erzählt hast, dass ich Priester werde.«
»Bitte«, bettelte ich.
»Nein, ich bin nicht bibelfest genug. Sie wird mir Fragen über Matthäus, Markus, Lukas und Johannes stellen, und ich versau es dann, indem ich ihr die Telefonnummer samt Schwanzgröße von allen vieren gebe.«
Während er mir in den Mantel half, meinte er: »Viel Glück. Du tust das absolut Richtige ... Übrigens, My Way oder Candle in the Wind?«
»Was?«
»Wollte nur wissen, was bei deiner Beerdigung gespielt werden soll.«
Ich stecke den Schlüssel in das Schloss der Eingangstür und öffne sie.
»Hallo«, rufe ich fröhlich, auch wenn ich alles andere als gut drauf bin.
»Bin in der Küche«, ruft meine Mutter zurück. »Bereite gerade das Gemüse vor.«
Was bedeutet, dass wir frühestens in einer Stunde essen werden. Mum ist nämlich der Auffassung, dass man Gemüse erst dann als gar bezeichnen kann, wenn es einfacher ist, es durch einen Strohhalm zu saugen als auf einer Gabel zu balancieren. Knackiges Gemüse ist nur was für jene, die noch schlimmer sind als Homosexuelle, die IRA und (so vermute ich zumindest) Verfasser von Pornos zusammen - also Festlandeuropäer.
Diese Überlegung beruhigt mich etwas. Immerhin beginnt meine Beichte nicht mit: »Mum ... ich bin Französin.«
»Warst du heute nicht in der Kirche?«, frage ich, als ich die Küche betrete.
»Aber sicher. Warum fragst du?«
»Weil dein Kleid ... nun ja ... Es ist ein bisschen ...«
»Stimmt etwas nicht damit?«
Wo soll ich bloß anfangen? Es ist pinkfarben, es glänzt und ist eng und sehr... eigentlich Lisas Stil. Sollte Mum dieses Kleid heute in der Kirche getragen haben, wäre das eigentlich ein berechtigter Grund für eine öffentliche Steinigung gewesen.
»Es ist hinreißend.« (Die erste Lüge heute.) »Steht dir.« (Die zweite.) »Wo ist Dad?« (Schneller Themenwechsel, bevor ich mich noch in die Nesseln setze.)
»Hat sich sofort nach der Messe in seiner Werkstatt verkrochen. Er kann meine Nähe nicht mehr ertragen«, bemerkt sie mit einem tiefen Stoßseufzer.
Kaum zu glauben, dass meine Eltern damals in den wilden Sechzigern jünger waren als ich heute. Hätte ich mich nicht mit eigenen Augen davon überzeugen können - dank erstaunlicher Fotos von Mum mit einer toupierten Hochfrisur sowie falschen Wimpern und von Dad mit buschigen Koteletten bis unter die Ohren dann wäre ich davon überzeugt, dass sie schon immer so ausgesehen haben wie heute: über fünfzig. Im Grunde bin ich mir sicher, dass sie den Summer of Love damit verbracht haben, die
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