Marsha Mellow
loslegt. »Amy... Amy, bist du dran?« Wenn in diesem tollen Schuppen Handys schon nicht erwünscht sind, dann ein Anruf von meiner Mutter erst recht nicht. »Hi, Mum«, gebe ich im Flüsterton zurück, als würde das die Tatsache verschleiern, dass verbotenerweise ein pinkfarbenes Handy an meinem Ohr klebt.
»Amy, warum hast du nicht zurückgerufen?«
»Tut mir Leid. Ich hatte unheimlich viel um die Ohren. Was gibt‘s denn?«
Ich flehe innerlich, dass sie nicht gleich wieder von Dad anfängt. Nach allem, was ich weiß, würde mir das Lügen nämlich schwer fallen - Ja, weißt du, Mum, Lisa und ich haben einen Privatdetektiv auf ihn angesetzt, aber keine Angst, das ist alles bestimmt völlig harmlos.
»Eigentlich will ich gar nicht mir dir sprechen«, beginnt sie umständlich. »Sondern mit Anthony ...« Mit Ant? Mein Gott, die Beichte.
»Ich versuche schon die ganze Zeit, ihn zu erreichen. Weißt du, wo er steckt?«
»Er ist nach New York zurückgeflogen.«
»Oh«, entgegnet sie, und es klingt ziemlich geknickt.
»Mum, was ist denn? Was hast du Ant erzählt?«
»Warum? Hat er dir was erzählt?«, fragt sie panisch zurück.
»Ant hat mir überhaupt nichts erzählt, aber seit wann schüttest du ihm dein Herz aus?«
»Anthony ist ein zutiefst religiöser junger Mann«, rechtfertigt sie sich. »Er ist der geborene Priester, und seine Worte haben mir viel Trost gespendet.«
Wie bitte? Ant und religiös? Würde Jesus ihm erscheinen, würde er nach seiner Telefonnummer fragen und danach, ob er devot oder dominant bevorzugt.
»Mum, Ant ist... Er ist...« Warum fällt mir bloß nichts ein?
»... Er ist katholisch.«
»Jetzt tu nicht so bigott, Amy. Habe ich dir nicht beigebracht, tolerant zu sein?«
Ich traue meinen Ohren nicht. Mum und Toleranz? Verglichen mit ihr ist Ian Paisley ein zahmer Liberaler.
»Außerdem können wir viel von den Katholiken lernen. Zum Beispiel ihre Haltung, was Treue in der Ehe betrifft. Sehr vernünftiger Standpunkt. Ich habe letztens in der Saint Mary‘s Cathedral ein paar Broschüren mitgenommen ...«
Mary! Die verfolgt mich heute - die heilige Maria, verdammt soll sie sein ...
»... und ich spiele mit dem Gedanken zu konvertieren.«
»Was?«, sage ich fassungslos.
Man stelle sich vor, sämtliche Ayatollahs im Iran wären plötzlich Juden. Oder man stelle sich vor, Truthahnbaron Bernard Matthews setzt sein Federvieh aus und wird Veganer. Beides wäre wahrscheinlicher, als dass meine Mutter der Kirche von England den Rücken kehrt. Was zum Teufel hat Ant bloß mit ihr angestellt?
»Noch habe ich keine Entscheidung getroffen, Liebes«, beruhigt sie mich. »Reine Gedankenspiele. Egal, wir waren bei Anthony. Ich müsste wirklich dringend ein paar Dinge mit ihm besprechen. Ist er denn im Priesterseminar telefonisch erreichbar?«
Tja, schon, aber wenn du da anrufst, wirst du ihn bei dem lauten Technosound und dem Stimmengewirr der Typen in Lederkluft, die sich bestimmt nicht über ihr Verhältnis zu Gott unterhalten, wohl nur schwer verstehen.
»Ja, ist er. Aber ich habe seine Nummer nicht bei mir, Mum. Ich geb sie dir später.« Am Sankt-Nimmerleins-Tag.
Nachdem ich das Gespräch beendet und mein Handy ausgeschaltet habe, schwirrt mir der Kopf, was nicht allein auf die anderthalb Bloody Marys zurückzuführen ist. Mich beschäftigt der Gedanke an den Scheck über vierhundert Riesen und an die andere Bloody Mary, die davon überzeugt ist, dass ich »mindestens« drei weitere Schundbücher zu Stande bringe, und außerdem wird es jetzt noch schwieriger sein, das Ganze meiner Mutter zu beichten, wenn sie sich tatsächlich für Rom und damit gegen Abtreibung und gegen Kondome und auch gegen Sex in jeder erdenklichen Form entschieden hat.
Na, vielen lieben Dank auch, Anthony.
Ich stütze den Kopf auf die Hände, und am liebsten würde ich losheulen, aber mein Makeup dürfte so schon genug ruiniert sein, und außerdem müsste Jake jeden Augenblick ...
Erschrocken mache ich einen Satz, als mich jemand an der Schulter berührt. Bei der Landung wackelt mein linker Schuh ... und knickt um. Gleich darauf verspüre ich einen stechenden Schmerz im Bein, sodass ich mich hinunterbeuge und meinen Knöchel umfasse, wobei ich registriere, dass ein paar weitere Nähte laut krachen.
»Alles okay?«
In meiner Kauerhaltung sehe ich auf und bemerke Jake, der mich besorgt mustert. Und zwar aufrichtig besorgt - er nimmt nicht einmal die günstige Gelegenheit wahr, mir in den Ausschnitt zu
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