Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Martha Argerich

Martha Argerich

Titel: Martha Argerich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bellamy
Vom Netzwerk:
und lässt danach alles auf dem Tisch stehen. Später am Abend läutet es an der Tür, die mehr oder weniger geladenen Gäste geben sich die Klinke in die Hand. Wenn sie niemanden sehen will, zieht sie sich auf ihr Zimmer zurück und sorgt dafür, dass ihre Mitbewohner sich um die Gäste kümmern. Dann, wenn sie glaubt, dass niemand mehr mit ihr rechnet, taucht sie wie eine Erscheinung im Wohnzimmer bei den Freunden auf und mischt sich ins Gespräch – alles unter dem Vorbehalt, dass sie eigentlich schon längst wieder zurück an die Arbeit müsste.
    Marthas Freunde teilen Marthas Freunde in zwei Kategorien ein: auf der einen Seite diejenigen, die sie nur ausnutzen, und auf der anderen Seite der harte Kern ihrer Getreuen (dem sie natürlich angehören). Auch ihre Partner gliedern ihre Partner in zwei Gruppen auf: Hier die tüchtigen Arbeiter und da ein kleiner Kreis von Musikern allerersten Ranges (dem sie natürlich angehören), der in Bezug auf die eigene Karriere nicht auf sie angewiesen ist, sondern eine privilegierte Beziehung zu ihr unterhält.
    In Brüssel hat sich um Martha rasch eine Clique junger Künstler gebildet, die an ihrer Seite groß geworden sind. Seit dem Tod ihrer Mutter hat die Argentinierin das starke Bedürfnis, sich ihrerseits um jene Küken zu kümmern, die so sehr nach Ruhm und Anerkennung dürsten. Weil ihr jugendlicher Geist immer neue Anregungen braucht, kommt sie dabei durchaus auch auf ihre Kosten – aber was für eine Lebensaufgabe, die sie sich da aufgebürdet hat! Sergio Tiempo, Mauricio Vallina, Alexandre Gurning, Alexander Mogilevsky, Polina Leschenko zählen zu diesem inner circle . Andere Pianisten aus der ganzen Welt, die ihre Spielleidenschaft verloren hatten, keinen Sinn mehr im Leben sahen oder sich in einer Sackgasse wähnten, kamen zu ihr. Angezogen von Marthas hellem Licht, suchen sie nach jemandem, der sie versteht, der die gleichen Zweifel durchlitten und den gleichen Abscheu vor sich selbst kennengelernt hat wie sie. Sie alle haben dieselbe fixe Idee im Kopf – »Nur Sie können mir helfen!« –, ohne zu ahnen, dass sie mit den Worten Maurizio Pollinis sprechen, der sich nach seinem Sieg beim Chopin-Wettbewerb in einem Brief hilfesuchend an Michelangeli gewandt hatte. Wahrscheinlich hatte auch Martha diese Worte im Sinn, als sie versuchte, Horowitz zu treffen.
    Pianist zu sein ist so schwierig! Niemand wartet auf dich, niemand braucht dich. Wie hatte noch Jacques Lacan so schön gesagt: »Klavier zu spielen bedeutet, etwas, von dem man nicht genau weiß, ob man es besitzt, an Leute zu geben, die nicht genau wissen, ob sie es wollen.« Bleiben die Geiger, die immerzu auf der Suche nach einem Pianisten sind. Aber diese Primaballerinen des schönen Klangs wünschen sich lediglich die schmeichelhafte Begleitung eines diskreten Partners – ebenso wie jene Sorte Schauspieler, die einen »Gegenpart« auf der Bühne fordern, weil sie dann ihren Monolog besser halten können, und nicht etwa, um sich einen potenziellen Rivalen heranzuzüchten. »Begreifen Sie endlich, dass ich die rechte Hand spiele!«, soll der Geiger Nathan Milstein einem Pianisten gesagt haben, der eine Sonate mit ihm einüben wollte. Die Vorstellung, mit einem renommierten Geiger zu spielen, der lediglich einen Vasallen sucht, hat in der Tat nichts Verlockendes an sich. Martha zieht es vor, mit weniger selbstverliebten Musikern an die Öffentlichkeit zu treten. »Wir sind die Proletarier der Musik«, behauptet sie manchmal. Ihrer Ansicht nach ist das Klavier ein sehr »perverses« Instrument, weil dort alles nur Illusion ist. Man muss nicht atmen lernen wie ein Sänger oder das absolute Gehör besitzen wie ein Geiger, denn alle Töne sind schon da und warten nur darauf, in Aktion zu treten – »wie brave Hündchen, denen man einen Stock zuwirft«.
    Wer zu Martha kommt, begegnet einer Künstlerin, die viel über ihren Beruf nachgedacht hat, die ihn mit Humor und Leidenschaft ausübt und sich ihre frische, ungestüme Seele bewahrt hat. Bei ihr trifft man außerdem auf andere Musiker, die alle von den gleichen zerstörerischen Gedanken gequält werden. Die
venezolanische Pianistin Gabriela Montero kam wie alle anderen mit der festen Absicht zu ihr, alles hinzuwerfen, weil sie überzeugt war, dem Beruf nicht gewachsen zu sein. Martha hat sich ihr Spiel angehört und sie beruhigt. Besonders angetan war sie von der Tatsache, dass die junge Frau seit frühester Kindheit improvisieren konnte. Sie hat sie

Weitere Kostenlose Bücher