Martha Argerich
ermutigt, auf diesem Weg weiter voranzugehen. Drei Jahre später erschien bei EMI eine CD mit dem Titel Bach and Beyond – und Gabriela Montero war keine Unbekannte mehr. Doch nicht jeder erhält eine solche Chance. In Marthas Umgebung sind durchaus auch einige Floristen, Erzieher oder Krankenschwestern anzutreffen, die nur noch für sich selbst spielen, nachdem ihre Träume sich nicht erfüllt haben.
Die »Straße der Pianisten« ist mit den Jahren Schauplatz manch eines Dramas geworden, hat manch einem zutiefst Verzweifelten Asyl gewährt. Doch eines Tages klopfte eine echte Tragödie ungeladen an die Haustür. Sie kam in Gestalt zweier enger Freunde von Martha, die unter dem Namen Duo Crommelynck bekannt geworden waren. Zwei exzellente Pianisten, die auf bewundernswerte Weise vierhändig oder auf zwei Klavieren spielten und deren Aufnahmen (Claves Records) von einzigartiger Schönheit sind. Martha hatte Patrick Crommelynck als ganz jungen Mann kennengelernt, als er Schüler von Stefan Askenase war. Der belgische Pianist setzte sein Studium anschließend in Moskau fort, dann bei Dieter Weber in Wien, wo er auf die japanische Pianistin Taeko Kuwata traf, die seine Frau und exklusive Partnerin wurde. 1974 gründeten die beiden das Duo Crommelynck und erhielten rasch die wohlverdiente Anerkennung. Martha mochte sie sehr. Sie wirkten so glücklich miteinander, dass sie all ihre Aversionen gegen das Leben als Paar vergaß. Patrick und Taeko führten eine sehr innige, fast schon symbiotische Beziehung. Man sah nie den einen ohne den anderen – bis hin zu dem Punkt, an dem sie begannen, einander ähnlich zu sehen. Vierhändig Klavier zu spielen hat für Virtuosen etwas Beengendes, Unbequemes, Frustrierendes an sich: Die Körper kommen sich gegenseitig in die Quere, die Hände überrennen einander, die Arme überkreuzen sich. Man muss seinen Partner schon sehr mögen, um dies zum Dauerzustand machen zu wollen. Diese beiden Musiker erinnerten gleichsam an zwei Tangotänzer, deren Gliedmaßen ineinander verknotet waren.
Taeko kümmerte sich um Marthas Töchter, wenn die Pianistin auf Reisen war. Sie hatte auch in der Nacht von Juanitas Tod an deren Bett gewacht. Ihre Persönlichkeit entsprach überhaupt nicht dem Klischee der typischen Japanerin, die angeblich extrem zurückhaltend ist und stets die Augen niederschlägt. Taeko äußerte ihre Gefühle mit einer Lebhaftigkeit, die fast schon etwas Exaltiertes an sich hatte. Ihr Mann Patrick indes war sehr empfindsam, tiefgründig und mit einem sehr charmanten Humor ausgestattet. Im Sommer 1994, nach zwanzig ungetrübten Jahren, hörten sie sich eines Tages ihre gemeinsame Aufnahme von Schuberts Fantasie f-Moll an, als Patrick plötzlich sagte: »Das wird unsere letzte Aufnahme sein.« Ein heftiger Streit entbrannte – etwas, das bis dahin noch nie vorgefallen war. Nach einer schlaflosen Nacht voller Vorwürfe gingen sie schließlich zu Martha hinüber, die gerade von einer Reise zurückgekehrt war. Nach einer Nacht voller Diskussionen und Tränen konnte Martha trotz des Verständnisses, das sie für beide übrig hatte, eine Eskalation des Streits nicht verhindern. Doch all das schien ihrer Liebe keinen Abbruch zu tun.
Fünf Tage später fand man den leblosen Körper von Patrick zu Füßen von Taeko, die sich erhängt hatte. Das Traumpaar hatte sich ein Schicksal à la Romeo und Julia erwählt. Als Zeichen ihrer Trauer und anknüpfend an die Totenriten ihrer Heimat, hatte sich Taeko das Haar abgeschnitten.
Santa Monica
John Wayne Cancer Institute
1992 verlor Martha ihre beste Freundin Christiane Souré, alias Diane, die innerhalb von sechs Monaten von einem Krebsleiden dahingerafft wurde. Schreckliche Ironie des Schicksals: Am Tag von Dianes Beerdigung erfuhr die Pianistin, dass sie selbst an dieser Krankheit litt. Für Martha konnte das kein Zufall sein: Zwischen den beiden Ereignissen bestand ein direkter Zusammenhang! In ihrem Bemühen, der Freundin zur Seite zu stehen, mit ihr mitzufühlen, hatte Martha Diane aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus den Schmerz nehmen, ihr Leid mit ihr teilen wollen – und das Schicksal hatte sie erhört. Doch sie waren nicht die Einzigen in dieser Kette. Diane hatte mit einer Frau zusammengelebt, Catherine, einer Ärztin aus Vevey, die zu viel trank (sodass man sie auch schon mal stark angeheitert in ihrer Praxis antreffen konnte). Catherine starb mit sechsunddreißig Jahren, kurz nachdem bei Diane der Tumor entdeckt worden
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