Martha im Gepaeck
heruntergehastet. Auf ihrem Kopf saß eine unglaubliche Hutkreation in Blau, an der seitlich ein Wust blonder Haare herausquoll wie Bauschaum. »Sind die Hochzeitsgäste schon weg?«, rief sie atemlos, und die stahlgraue Rezeptionistin wandte sich von den Thiemes ab, augenscheinlich froh darüber, sich den wirklich wichtigen Dingen im Leben widmen zu können.
»Was für ein traumhafter Hut«, sagte sie bewundernd.
»Los, wir gehen«, sagte Karen. »Das Motel finden wir auch alleine. Wir fragen in der Werkstatt nach.«
»Ich will nicht wieder dahin zurücklaufen«, jammerte Teresa. »Meine Beine tun weh. Und wir haben immer noch kein Eis gegessen. Und ich will die Braut sehen!«
»Ich habe die Braut vorhin vor dem Klo gesehen«, sagte Mark. »Du hast nichts verpasst.«
»Du bist gemein.«
»Kinder, Kinder, immer mit der Ruhe«, beschwichtigte Bernd. Vor dem Woodland House war jetzt ein gelber Lkw vorgefahren, auf dem zwei um ein Weizenfeld tanzende Brötchen aufgemalt waren. Der korpulente Fahrer schwang sich aus seiner Kabine und ging prüfend um den Wagen herum. »Wir fragen den da«, sagte Bernd. »Trucker wissen immer, wo Motels sind.«
»Ich mach das.« Tante Martha warf ihr Erfrischungstuch in Richtung des Mülleimers neben der Tür, verfehlte ihn knapp und sah Bernd erwartungsvoll an. »Kannst du einer Dame die Tür aufhalten?«
Bernd öffnete wie ferngesteuert die Tür und blickte, genau wie Karen, Martha hinterher, die mit energischen kleinen Stakkato-Schrittchen auf den Mann mit dem Johnny-Cash-T-Shirt und den fettigen Haaren zuging. Sie redete mit ihm und knuffte ihn auf einmal in den Arm.
»Was macht sie denn da?«, flüsterte Karen verstört.
Martha reichte dem Trucker ihre Hand, und plötzlich beförderte er sie mit einem kräftigen Schubs hoch in seine Fahrerkabine.
»Der klaut Martha«, sagte Mark begeistert. »Soll ich sein Kennzeichen fotografieren? Oder wollt ihr sie gar nicht wiederhaben?«
»Du bist unmöglich!« Karen machte einen Schritt nach vorn. »Hallo? Hallo, Sie da? Hello? « In diesem Moment schob sich Marthas weißer Lockenkopf aus der Fahrerkabine. »Na los«, rief sie. »Er nimmt uns mit.«
»Was?« Karen fuhr zu Bernd herum. »Ist sie jetzt völlig übergeschnappt? Was soll denn das? Mit fremden Truckern mitfahren, sie ist doch keine achtzehn mehr.«
»Ich will auch mit«, rief Teresa und rannte los, dicht gefolgt von Mark. Der Motor des Lkws ging brummend an.
»Wartet!« Karen schüttelte entsetzt den Kopf, aber da keiner Anstalten machte zurückzukehren, lief sie ihnen hinterher. Auf keinen Fall würde sie hier stehen bleiben und zusehen, wie ihre Kinder in der miefigen Fahrerkabine eines Backwaren-Transporters verschwanden.
Der Trucker streckte den Kopf aus der Fahrerkabine und winkte. »Na los, Lady. Kommt dein Oller mit oder nicht? Hab nicht den ganzen Tag Zeit. Bin schon seit dreizehn Stunden unterwegs.«
Karen drehte sich im Laufen zu Bernd um, der unglücklich mit hängenden Schultern vor dem Woodland House stand, den Reiseführer schlaff in der Hand.
»Komm, Bernd«, rief sie, kletterte auf das Trittbrett und ließ sich von starken, tätowierten Armen hochziehen. Wieso nahm der Mann sie mit? Was genau hatte Martha zu ihm gesagt? Ihre Großtante wurde ihr immer unheimlicher.
Der Trucker hieß Dwayne und hatte eine Vorliebe für Manchester United. Die ganze Kabine war rotweiß dekoriert. Seine zweite Leidenschaft galt dem Wort » Fuck « und Franzosenwitzen.
»Warum grillen Franzosen nie?«, fragte er die Thiemes, kaum dass sie in seinem rotweißen, von Countrymusik beschallten Paradies Platz genommen hatten.
»Weil ihnen die Schnecken immer zwischen den Grill rutschen?«, fragte Martha.
Dwayne lachte schallend los. » Fuck! Eure Oma ist spitze«, brüllte er. Der Truck bog um eine scharfe Kurve und schleuderte alle durcheinander. Dwayne redete ununterbrochen weiter, spottete über die Franzosen, lobte Manchester United und lachte vor allem sein lautes, heiseres Lachen, das jede Reaktion unmöglich machte.
Ein Kartenspiel fiel von irgendwoher auf Martha herunter. »Oh«, sagte sie. »Was spielen Sie denn?«
»Poker«, rief Dwayne und donnerte in letzter Sekunde bei Gelb über die Ampel.
Hier oben in der Kabine, hoch über all den Autos, konnte sich Karen nicht des Eindrucks erwehren, dass sie jeden Moment einen ganz katastrophalen Unfall erleben würden, dass der franzosenhassende Dwayne sie alle mit Begeisterung in ein Inferno aus grinsenden rotweißen
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