Martin, Kat - Perlen Serie
zeigen könnte, das er entdeckt hatte."
Augenblicklich spürte Tory nicht nur die Sorge um Claire in sich aufsteigen, sondern auch eine bodenlose Wut. Dieser elen- de Verführer! Vor ein paar Tagen erst hatte er sie geküsst, und nun versuchte er bereits wieder, sich Claire zu nähern!
Tory eilte in eines der an den Garten grenzenden Zimmer, stieß die Flügelfenstertüren auf und stürmte auf die Terrasse hinaus. Sofort umfing sie der Duft blühenden Lavendels und frischer Erde, aber von Claire war nichts zu sehen.
Torys Sorge verstärkte sich. Wenn Brant ihre Schwester be- rührt ... ihr irgendein Leid zugefügt hatte ...
Sie eilte den Kiesweg entlang in Richtung des Brunnens, da sie hoffte, von dort einen besseren Überblick über den Garten zu haben. Zu ihrer Überraschung standen Claire und Brant unweit des Weges unter einer Birke, und Tory konnte beobach- ten, wie ihre Schwester fasziniert zu dem Gestrüpp aus Ästen und Blättern hinaufsah.
Zu ihrer Beruhigung sah Tory zudem, dass Claire ein gutes Stück vom Earl entfernt stand. Als dieser das Geräusch von nahenden Schritten auf dem Kiesweg vernahm, wandte er sei- nen Blick von Claire ab und ließ seine Augen auf Tory ruhen.
„Ah, Mrs. Temple! Ich hatte mich schon gefragt, wann Sie wohl kämen."
Sie versuchte zu lächeln, selbst wenn sie spürte, wie ihre Ge- sichtszüge sich verkrampften. „Ich habe Claire gesucht. Wir haben noch viel zu erledigen, und ich brauche ihre Hilfe."
„Was Sie nicht sagen! Ich habe Ihre Schwester aufgefordert, mich in den Garten zu begleiten, da ich dachte, sie hätte sicher Freude an dem Vogelnest, das der Gärtner entdeckt hat." Claires blaue Augen schauten Tory groß und staunend an. „Du musst es dir ansehen. Es sind drei winzige blaue Rotkehl- chen-Eier darin. Ist das nicht wundervoll?"
Tory beachtete den Earl nicht weiter, der keineswegs verär- gert darüber schien, dass sie ihm auf die Schliche gekommen war, sondern vielmehr zufrieden lächelte. Sie stieg neben ihrer Schwester auf die kleine Fußbank, die der Gärtner unter den Baum gestellt hatte, und sah in das Nest.
„Sie sind wirklich schön, Claire." Eilig stieg sie wieder hi- nunter. Sie verspürte einen vagen Anflug von Eifersucht und wollte so schnell wie möglich der Nähe des Grafen entkom- men. Nie zuvor war Tory auf ihre Schwester neidisch gewesen, und eigentlich bestand auch jetzt kein Anlass dazu. Lord Brant mochte sich zwar für Claire interessieren, aber Claire hatte ganz offensichtlich keinerlei Interesse an ihm.
„Der Earl ist wahrscheinlich ein netter Mann", hatte Claire ihr einmal anvertraut, „nur beunruhigt mich seine Anwesen- heit. Er scheint so ... so ..."
„Nun, er kann manchmal etwas einschüchternd sein."
„Ja, und er ist so ..."
„Lord Brant ist... nun, er ist ein sehr attraktiver Mann."
Claire hatte genickt. „Ich weiß nie, was ich zu ihm sagen
oder wie ich mich in seiner Gegenwart verhalten soll."
Die tiefe Stimme des Earls verdrängte diese Erinnerung. „Kommen Sie, Miss Marion. Ihre Schwester braucht Sie im Haus, und es scheint, als ob unser kleiner Ausflug zu Ende ist." Er bedachte Claire mit einem freundlichen Lächeln, in sei- nem Blick konnte Tory hingegen nichts von der Leidenschaft entdecken, mit der er sie selbst angesehen hatte. Höflich ver- neigte er sich vor ihnen beiden, als wären sie seine Gäste und nicht seine Hausangestellten. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Nachmittag, meine Damen."
Sobald sie außer Hörweite waren, wandte Tory sich besorgt an Claire. „Geht es dir gut?"
Claire sah sie fragend an. „Es war sehr nett von ihm, mir das Nest zu zeigen."
„Ja ... ja, das war es." Tory hätte gerne noch mehr gesagt und ihre Schwester vor den Absichten ihres Dienstherrn gewarnt. Immerhin hatte Claire schon zuvor schlechte Erfahrungen ma- chen müssen, die Tory jedoch noch rechtzeitig hatte abwenden können.
Es erschien ihr zwar unwahrscheinlich, dass Lord Brant auch nur annähernd so verworfen war wie ihr Stiefvater. Doch weshalb sonst hätte er Claire in den Garten locken sollen?
Vor den Fenstern zog sich eine undurchdringliche Dunkelheit zusammen. Leichter Nebel kroch durch die Straßen und legte sich um die Häuser. Nach dem Abendessen hatte Tory sich in ihr Zimmer zurückgezogen und las den Roman von Mrs. Rad- cliffe weiter, den sie sich aus der Bibliothek geliehen hatte. Kurz nach elf schlief sie auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer ein.
Plötzlich klopfte es leise an der Tür, und
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