Martin, Kat - Perlen Serie
unter der Kette lag, erregte plötzlich ihre Auf- merksamkeit. Tory hob vorsichtig einen in weißen Satin gewi- ckelten Gegenstand empor. Als sie den Stoff entfernte und sah, was sie in der Hand hielt, stockte ihr der Atem. Sie erkannte den schweren Siegelring sofort.
Er hatte ihrem Vater gehört, und er hatte ihn an dem Tag ge- tragen, an dem er von den Wegelagerern ermordet worden war. Zusammen mit seiner Geldbörse und anderen Wertsachen, die er bei sich trug, hatten sie ihm auch seinen Siegelring gestoh- len.
Der Ring hatte bereits Generationen von Whitings gehört. Er war ein geschätztes Familienstück, und ihre Mutter war ver- zweifelt, dass etwas so Kostbares unwiderruflich verloren war. Wo hatte sie den Ring gefunden? Und warum hatte sie Tory nichts davon erzählt und ihn stattdessen versteckt?
Sie spürte, wie ein eisiger Schauder ihren Körper erfasste, als ein ganz bestimmter Verdacht in ihr aufstieg ... Eilig sah sie sich um und begann verzweifelt, nach dem Tagebuch ihrer Mutter zu suchen. Vielleicht würde sie dort eine Antwort auf ihre Frage erhalten.
Das Tagebuch war allerdings nirgends zu finden.
Tory konnte sich erinnern, dass ihre Mutter fast jeden Tag darin geschrieben hatte. Doch wohin die Aufzeichnungen nach dem Tod von Charlotte Whiting gelangt waren, wusste sie nicht.
Das Licht der Abendsonne, das durch die schmale Dachluke drang, wurde immer schwächer. Der Tag neigte sich dem Ende zu, und Claire würde sicher schon unruhig werden. Tory wi- ckelte den Ring wieder in den Satinstoff, versteckte ihn in ih-
rem Rock, nahm sich die rosafarbene Halskette und die Ohr- ringe aus der Schmuckkassette und verschloss sie dann wieder. Sie legte sie in die Truhe zurück und deckte die Kleider, Schals und den Fächer aus schwarzer Spitze darüber. Als sie die schmale Treppe vom Dachboden herabstieg, tastete sie nach dem Ring in der Tasche ihres Rocks. Durch den Satinstoff hin- durch schien er in ihren Fingern zu brennen.
13. KAPITEL
Am Morgen der Hochzeit war es windig und kalt. Dunkle, graue Wolken hingen finster über dem trüben, nasskalten Tag, und die Sonne sah nur gelegentlich hervor. Auf der Gartenter- rasse von Forest Glen standen unter einem blumengeschmück- ten Rundbogen einige weiße Korbstühle, die auf die wenigen Gäste zu warten schienen, die zu den Hochzeitsfeierlichkeiten eingeladen worden waren.
Zögerlich begannen die Besucher, sich dort einzufinden, die Damen in Seidenkleidern mit hoch angesetzter Taille, die Her- ren mit Frack und Halsbinden. Vom Fenster ihres Gästezim- mers konnte Tory beobachten, wie die anderen es sich auf den Stühlen bequem machten und auf das kommende Ereignis warteten.
In ihrem hellblauen Seidenkleid und dem locker aufgesteck- ten Haar, in dem einige weiße Rosenknospen befestigt waren, fühlte sie sich gewappnet, sich den Folgen ihres Handelns zu stellen. Die Geschehnisse der letzten Wochen wirbelten ihr wieder durch den Kopf ... Claire und ihr Stiefvater ... die ge- stohlene Halskette ... ihre Verzweiflung in London ... die Be- gegnung mit Cord ... sich zu verlieben ...
Und nun hatte sie ihm eine Falle gestellt, damit er Claire hei- raten würde!
Obwohl ein Teil der Ereignisse ihre Schuld war, so hatte sie doch das Gefühl, dass das meiste davon sich ihrer Kontrolle entzog. Das Schicksal schien sie auf einen Weg geschickt zu haben, der sie nun hier stehen ließ, am Fenster des Gästezim- mers, um auf die Hochzeit ihrer Schwester mit dem Geliebten zu warten. Während sie weiter die Hochzeitsgesellschaft beob- achtete, wünschte sie sich von ganzem Herzen, irgendwo an- ders sein zu können.
Vorsichtig klopfte es an der Tür. Lady Aimes betrat leise ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich. „Sind Sie so weit?"
Tory nickte. Doch sie wusste, dass sie niemals dazu bereit
sein würde, mit anzusehen, wie Cord eine andere heiratete -
auch nicht Claire.
„Sie sehen wunderschön aus", sagte Sarah.
Tory schluckte. „Danke." Cords schlanke blonde Cousine
war sogar noch größer als Claire, und sie sah selber bezau-
bernd aus in ihrem rosefarbenen Seidenkleid, das am Aus-
schnitt und am Saum mit feiner Blumenstickerei verziert war. Ihr Gesicht wirkte sanft und edel zugleich, und sie strahlte Glück und eine innere Ruhe aus, um die Tory sie beneidete.
„Ich muss mich um meine Schwester kümmern und mich
vergewissern, dass es ihr gut geht."
„Das wird nicht mehr nötig sein. Sie ist bereits nach unten
gegangen."
Tory wusste, dass sie schon
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