Maschinenmann: Roman (German Edition)
Führungskräfte gab es in Hülle und Fülle, obwohl sie kaum klar erkennbare Aufgaben erfüllten.
Cassandra Cautery zog ihre Karte durch, um Gebäude A zu betreten. Ich folgte ihr. »Sie können sich damit wirklich bewegen.« Sie deutete nach unten, und ich nickte. Eine Zeit lang schwiegen wir. Vor den Aufzügen traten andere Leute zu uns, aber niemand redete. Für mich war nicht zu erkennen, ob ihnen mein Bein unangenehm oder einfach gleichgültig war. Cassandra Cautery begutachtete eine Stelle auf ihrem Ärmel. Der Aufzug pingte, und wir stiegen ein. Als sich ein Mann zu uns gesellen wollte, sagte Cassandra Cautery: »Würde es Ihnen was ausmachen, den nächsten zu nehmen? Danke.«
Die Tür schloss sich, die Kabine summte. Cassandra Cautery wandte sich an mich. »Ich habe ein Diastema.« Ihr Gesicht war leicht gerötet. »Eine Zahnlücke.« Sie bohrte den Finger in den Mund und zog die Lippen zurück. Zwischen den oberen Eckzähnen und den Backenzähnen war ein Zwischenraum von fast einem Zentimeter. Sie ließ die Lippen los. »Ich habe fünf verschiedene Spezialisten aufgesucht, aber sie sagen alle das Gleiche. Man kann es nicht operieren. An der Stelle laufen viele Nerven zusammen, und man kann die Zähne nicht versetzen, ohne einen dauerhaften Schaden zu riskieren. Eine Lähmung im Gesicht.« Sie blinzelte dreimal rasch hintereinander. »Ich konnte mich nur schwer damit abfinden. Als Teenager. Ich habe Diäten gemacht. Bin gelaufen und geschwommen, habe es mit Pilates probiert. Die Mädchen an der Highschool … nun, das verstehen Sie jetzt vielleicht nicht … jedenfalls waren sie erbarmungslos. Wenn es ums Aussehen ging. In meiner Verzweiflung habe ich zu meinen Eltern gesagt, dass ich die Operation trotzdem will. Die Gesichtslähmung konnte mich nicht abschrecken. Sie haben sich geweigert. Der Streit ging monatelang.«
Die Fahrstuhltür öffnete sich. Cassandra Cautery spähte kurz hinaus. Der Gang war leer. Nervös verlagerte ich das Gewicht.
»Aber wissen Sie was? Inzwischen bin ich froh, dass ich das habe. Ich bin stolz darauf. Nein, nicht stolz. Dankbar. Für die Lektion. Niemand ist vollkommen, auch wenn man sich noch so anstrengt. Das ist die Botschaft. Man darf nicht aufhören, sich zu verbessern. In den Bereichen, auf die man Einfluss hat, muss man sich weiter anstrengen. Aber eine Sache wie Diastema kann man nur hinnehmen. Man atmet tief durch und sagt: ›So bin ich nun mal.‹«
Ich schwieg längere Zeit. »Okay.«
»Ich habe noch nie jemandem davon erzählt. Ich verlasse mich darauf, dass Sie es für sich behalten.«
»Okay.«
Sie lächelte. »Nur damit Sie wissen, dass Sie nicht allein sind.«
Cassandra Cautery begleitete mich bis zur Glashalle. Drinnen saßen meine Laborassistenten Jason und Elaine an ihren Schreibtischen. Katherine bemerkte ich in Labor 2 bei der Arbeit mit Ratten. Katherine machte immer mit Ratten herum. Sie hatte ihnen Häuschen und Rampen aus Pressspan gebastelt. Eins hatte eine Art Schaukel. Eigentlich hatte ich sie längst beiseitenehmen und ihr erklären wollen, dass sie das bedauern würde, sobald die ersten zerstörenden Prüfverfahren anstanden.
Jasons und Elaines Blicke folgten mir durch den Raum, bis ich auf meinem Bürostuhl gelandet war. Elaine begrüßte mich: »Willkommen zurück, Dr. Neumann.«
»Danke.«
Elaine schaute Jason an, der schwieg. »Wir freuen uns, dass Sie wieder gesund sind.«
Ich schaltete meinen Computer ein. Das Ding brauchte eine Ewigkeit zum Hochfahren. Mit unruhigen Fingern tastete ich nach meinem Telefon in der Hosentasche.
»Wir haben uns beraten lassen.«
Ich sah sie an. »Warum?«
»Um damit fertigzuwerden. Mit dem Unfall. Das war ziemlich grausig. Äußerst grausig. Ich habe immer noch Albträume.« Sie zögerte. Über Elaines Stirn zog sich eine Pickelparade. Sie litt unter starker Akne. Auch ihr dichter Pony konnte das nicht verbergen. »Es war gut. Die Beratung. Sie haben uns zum Reden ermuntert. Und uns aufgefordert, uns offen mit unseren Gefühlen an Sie zu wenden, falls das für Sie in Ordnung ist.«
Ich schielte hinüber zu Jason. Aufrecht und mit starrer Miene saß er da. Sein Kopf bewegte sich minimal nach links, rechts, links. Ich war ihm dankbar. Wenn sich alle so verhalten hätten wie er, hätten wir einfach weitermachen und so tun können, als wäre nichts passiert.
Doch Elaine war noch nicht zu Ende. »Und jetzt weiß ich nicht … ob es Ihnen recht ist. Darüber zu reden. Wenn nicht …«
»Ich will
Weitere Kostenlose Bücher