Maskenball
allem fähig.«
»Ach, der ist doch einfach nur kindisch. Der ist schon vor seiner Pensionierung verkalkt. Soll er sich doch einen Pullunder stricken und uns einfach in Ruhe lassen.«
»Pass du lieber auf, dass du nicht noch einen Unfall baust.« Nun musste Ecki den Kopf schütteln.
* * *
Das war sehr unprofessionell von dir, dachte er. Wie kann dir so kurz vor Schluss noch so ein dummer Fehler passieren? Die ganze Unternehmung steht jetzt auf der Kippe. Dieser Leichtsinn macht noch die ganze geheime Operation kaputt. Hoffentlich überlebt Hecker nicht! Er musste unbedingt herausbekommen, wohin sie ihn gebracht hatten. Er musste ganz sichergehen. Schon hatte er seine fein geschliffenen Messer aus ihrem Versteck geholt und sie geprüft. Sie würden ihn nicht im Stich lassen. Sie nicht. Das hatten sie schon bewiesen.
Er stand ganz kurz vor seinem größten Triumph und seiner größten Genugtuung. Dann würde er endlich die Ruhe genießen können. Nach all den Jahren der Verzweiflung, den Selbstvorwürfen, den langen Nächten ohne Schlaf, den schrecklichen Bildern, die ihn nicht ruhen ließen. So sehr er sich auch gegen sie gewehrt hatte. Trügerisch und kurz waren die wenigen Momente in seinem Leben gewesen, in denen sie ihn nicht verfolgt hatten. In denen sie ihn hatten aufatmen lassen. Tage, Wochen, die er jedes Mal für so etwas wie Glück gehalten hatte. Und die ihn dann am Ende doch nur in noch tiefere Abgründe hatten stürzen lassen. Die Zeitspannen waren zum Schluss immer länger geworden, bis er wieder ein einigermaßen stabiles inneres Gleichgewicht gefunden hatte. Er hatte endlich gespürt, dass ihn nur ein Ausweg würde ruhen lassen. Diese Einsicht hatte ihn zutiefst erschüttert.
Er hatte die Lösung seiner Leiden und Schmerzen als mit seinem Wesen zutiefst unvereinbar weit von sich geschoben. Um dann doch nur noch tieferes Leid spüren zu müssen. Dann war mit einem Mal der Punkt überschritten gewesen, an dem er so etwas wie Abscheu gegen sich selbst empfunden hatte. Es war letztlich so leicht gewesen. Und er hatte sich nicht eine Sekunde schuldig gefühlt. Ganz im Gegenteil. Er hatte die Blätter fallen sehen. Leicht und unschuldig.
Die Angst vor den unbekannten und erschreckenden Abgründen seines Ichs war der Genugtuung und Erleichterung gewichen, seinen Frieden doch noch finden zu können. Die Gespenster, die aus den Bildern in seinem Inneren mit dürren Fingern nach ihm griffen, hatten ihre Kraft verloren. Die Lösung für all seine Leiden hatte er endlich gefunden. Die Lösung für sein Seelenheil. Nach all den vielen Jahren. Er hatte die Hoffnung schon aufgeben wollen. Und nun stand er kurz vor dem Sieg über sich selbst.
Von irgendwoher wehte der alte Schlager von Ben E. King zu ihm herüber: Stand by me. Verlogener konnte ein Schlager nicht sein. Er hatte sich in seinem Leben immer nur auf sich verlassen. Er war sich selbst der einzige Mensch, dem er trauen konnte. Das hatte er gelernt, über all die verzweifelten Jahre, auch in seinen meist nur flüchtigen Begegnungen mit Frauen. Er war ihnen ausgewichen, ihre Liebe hatte seine Seele verklebt.
XVIII.
»Möchten Sie sich ausruhen?« Lisa sah Heinrich Krüger besorgt an. Der alte Mann sah erschöpft aus und wirkte in dem tiefen Sessel fast verloren. Heinrich Krüger schüttelte nur den Kopf. Langsam, aber bestimmt.
»Ich habe mir gedacht, wenn Sie wollen, ich lade Sie zum Essen ein. Was meinen Sie?« Lisa war sich nicht sicher, ob Heinrich Krüger ihre Worte verstanden hatte. Denn er hatte die Augen geschlossen, so als müsse er einen Augenblick verschnaufen.
Heinrich Krüger öffnete die Augen und strahlte sie an. Er reckte seine Arme vor, als wolle er gymnastische Übungen machen. »Gerne. Ich habe einen Bärenhunger. Was schlagen Sie vor?«
»Sie haben mich doch gebeten, Sie zum Friedhof in Breyell zu begleiten. Wenn Sie wollen, können wir unterwegs zu Mittag essen. Ich kenne ein Lokal, das heißt Leuther Mühle. Das Restaurant müsste heute geöffnet haben. Anschließend fahren wir dann nach Breyell.«
»Einverstanden. Los gehts.« Heinrich Krüger wollte schwungvoll aus dem Sessel aufstehen, musste sich dann doch umständlich aus dem tiefen Polster stemmen. »Ja, ja, das Alter.« Er lachte Lisa an. »Früher war das deutlich einfacher.«
»Soll ich Ihnen helfen?« Lisa hielt ihm ihre Hand hin.
»Von wegen. Das schaffe ich schon. Noch gehöre ich nicht ganz zum alten Eisen. Der Sessel ist nur etwas tief und, mit Verlaub,
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