MASKENBALL UM MITTERNACHT
nicht dein Ernst sein. Du kannst vor Hass und Verbitterung über Rochfords Schandtat nicht mehr klar denken. Du willst doch nicht ernsthaft, dass ich den Ruf einer unschuldigen jungen Frau ruiniere. Als wir kürzlich darüber sprachen, hatte ich den Eindruck, du siehst das ein. Du kannst doch nicht von mir verlangen, mich wie ein ehrloser Schuft zu verhalten.“
Daphne fasste sich, holte tief Atem und dann lächelte sie ihren Bruder beinahe beschämt an. „Nein, du hast natürlich recht. Ich verlange doch nicht, dass du dem Mädchen ernsthaften Schaden zufügst. Nicht wirklich. Ich … ich habe nur gespürt, dass du sie begehrst und …“
Sie wandte ihm den Rücken zu und bückte sich, um ein Sofakissen aufzuschütteln.
„Nun ja“, fuhr sie fort und ließ die Kissenfransen durch ihre Finger gleiten. „Jedenfalls bin ich traurig, wenn du schon wieder abreist. Ich habe dich in den letzten Jahren so selten gesehen und mich so sehr darauf gefreut, diese Ballsaison mit dir in London zu genießen.“
„Ich weiß. Aber mich ruft die Pflicht. Hier in London kann ich mit meinem Verwalter nur schriftlich verkehren.“
„Ach, das langweilige Zeug. Du solltest dich auch mal amüsieren … nicht ständig nur arbeiten. Schließlich bist du ein Gentleman.“
„Ich bin ein Gentleman, der seinen Pflichten nachkommen muss“, hielt er ihr entgegen.
„Ich habe eine Idee!“ Daphne strahlte ihn an. „Wieso quartierst du dich nicht für eine Weile in Swithingtons Jagdhaus ein? Dort kannst du dich ein paar Tage erholen, bevor du nach Yorkshire zurückkehrst.“
Daphnes Zorn und Enttäuschung schienen verflogen, stellte Brom erleichtert fest. Es stimmte ihn traurig, wenn ihr Rachdurst ihr sonst so unbekümmertes Wesen vergiftete. „Aber Daphne, wir haben keine Jagdsaison“, gab er zu bedenken, „Da draußen gibt es nichts zu tun für mich.“
„Aber darum geht es doch, nicht wahr?“, versicherte sie ihm. „Du brauchst deine Ruhe, kannst lange Waldspaziergänge machen und die Abende mit einem guten Buch vor dem Kamin verbringen.“
„Das alles kann ich auch zu Hause tun.“
„Ja, aber dann bist du so weit weg. Das Jagdhaus liegt nicht weit von London entfernt. In ein paar Tagen könnte ich dich besuchen. Gleich nach dem Wentwhistle Ball; den darf ich allerdings nicht versäumen. Erst gestern habe ich Mrs. Wentwhistle meine Zusage gegeben; das Fest findet in wenigen Tagen statt. Danach besuche ich dich, und wir verbringen ein paar beschauliche Tage miteinander. Wäre das nicht ein Heidenspaß? Nur wir zwei, wie früher, als wir noch Kinder waren. Wir können nach Herzenslust plaudern … und über alles reden. Seit ich in London bin, denke ich immer wieder daran, wie sehr du mir in all den Jahren gefehlt hast.“
Er lachte leise. „Daphne, wir haben uns während deiner Ehe mit Swithington mindestens dreimal im Jahr besucht.“
„Ja, gewiss. Du hältst mich wohl für ein albernes Gänschen“, erklärte sie schmollend. „Aber es war so vergnüglich mit dir in den letzten Wochen, und ich wäre sehr traurig, wenn du schon wieder abreisen würdest. Bitte, bitte sag Ja, sonst muss ich denken, du bist mir immer noch böse wegen unseres missglückten Ausflugs nach Vauxhall.“
Er lächelte nachsichtig. „Na schön. Ich weiß, dass du stets deinen Kopf durchsetzt. Solche Gespräche enden meist damit, dass ich nachgebe.“
„Natürlich, so wird es auch diesmal enden.“ Sie lachte hell und schob ihren Arm in seine Ellbogenbeuge. „Wir werden Spaß haben, glaube mir. Ich schreibe dem Jagdhüter ein paar Zeilen, dass er dich in zwei Tagen erwarten soll. Wie findest du das?“
„Einverstanden“, antwortete er widerstrebend. „Dadurch bleibt mir noch ein Tag, um meine Geschäfte in der Stadt zu regeln.“
„Wundervoll“, gurrte Daphne. „Du wirst es nicht bereuen, das verspreche ich dir.“
Am folgenden Morgen am Frühstückstisch verkündete Francesca, Callie habe sich nun alle erdenkliche Mühe gegeben, und es sei ihr gelungen, der Öffentlichkeit ein positives Bild von sich zu präsentieren.
„Ich finde, du solltest ein paar Tage zu Hause bleiben“, schlug sie vor.
Callie, die appetitlos in ihren Rühreiern herumstocherte, blickte mit unendlicher Erleichterung zu Francesca auf. „Glaubst du wirklich? Ehrlich? Und wenn es Gerede gibt?“
„Gerede gibt es doch immer“, entgegnete Francesca gelassen. „Du hast bewiesen, dass dir der Rückzug eines Verehrers kaum aufgefallen ist, und hast deine
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