MASKENBALL UM MITTERNACHT
ihrem Leben hatte sie solche Wonnen verspürt. Der eine oder andere junge Mann hatte es zwar gewagt, ihr ein Küsschen zu rauben, aber nichts hatte sich je so angefühlt wie dieser Kuss – so weich und heiß; ihre Lippen reagierten unendlich empfindsam auf den samtigen Druck seiner Lippen. Noch nie hatte ein Mann seinen Mund an ihrem bewegt, nie zuvor hatte sie ihre Lippen dem Drängen einer Zunge geöffnet. Eine befremdlich berauschende Woge durchspülte sie.
Ein kleiner Laut der Verwunderung entfuhr ihr, ihre Hände schoben sich wie von selbst seine Brust nach oben, um seinen Hals, gruben sich in sein Nackenhaar, während er seine Arme um sie schlang und ihre zarte Gestalt an seinen gestählten Körper presste. Die gebogene Feder seines Hutes kitzelte ihre Wange, und auch diese Berührung erregte ihre empfindsamen Nerven. Mit einem kehligen Laut riss er sich den Hut vom Kopf, und sein Kuss wurde nur noch feuriger und tiefer.
Callie grub Halt suchend die Finger in den weichen Samt seines Wamses. Ihr war, als geriete sie ins Taumeln und stürze in einen bodenlosen Abgrund des Verlangens und der Lust. Fiebernd erregt und zugleich angstvoll, fühlte sie sich mit sprühendem Leben erfüllt wie nie zuvor. Die Hitze seines Körpers drang durch die Schichten ihrer Kleider und umhüllte sie …
Plötzlich hob er den Kopf, holte tief und stockend Atem und blickte auf sie herab. Mit Daumen und Zeigefinger hob er ihre Halbmaske und schob sie nach oben in ihre Stirn.
„Sie sind wunderschön“, raunte er. Und dann nahm er seine Maske ab.
Callie blickte zu ihm auf und nahm verblüfft wahr, dass er ohne die dramatische Maske noch atemberaubender aussah. Markant geschnittene Gesichtszüge, hohe Wangenknochen, buschige schwarze Brauen über großen grauen Augen. Das Antlitz eines Engels, schoss es ihr in einer poetischen Anwandlung durch den Sinn – kein Harfe zupfender Engel auf einer weißen Wolke, sondern ein kriegerischer Held, ein Erzengel, der die Pforten des Himmels mit seinem Flammenschwert bewachte.
„Sie aber auch“, hauchte sie andächtig und errötete über die kindliche Aufrichtigkeit ihrer Worte.
Etwas glühte in seinen Augen auf, und er gab ein verlegenes kleines Lachen von sich. „Meine liebe Calandra … es ist viel zu gefährlich, wenn Sie nachts hier draußen mit mir stehen.“
„Kann ich Ihnen denn nicht trauen?“, fragte sie zweifelnd.
„Ich warne Sie, mit Ihrem Aussehen sollten Sie keinem Mann trauen … ganz zu schweigen von Ihren übrigen Reizen.“ Seine Stimme klang belegt. Er strich mit der flachen Hand ihren Arm entlang, bevor er zögernd von ihr abließ und einen Schritt nach hinten trat. „Wir sollten hineingehen.“
Callie rückte ihre Maske zurecht. Es widerstrebte ihr, sich von ihm zu trennen, diesen magischen Moment zu beenden, diese neuen Empfindungen, die in ihr tobten, zu verdrängen. Gleichzeitig verstärkte seine Warnung vor einer unbestimmten Gefahr ihr Interesse. Sie lächelte.
„Vielleicht wollen Sie meinen ganzen Namen erfahren.“
„Das würde die Sache vereinfachen“, gestand er schmunzelnd. „Aber glauben Sie mir, ich finde Sie.“
„Dann sollten Sie nach …“ Callie stockte mitten im Satz, als die Stimme ihres Bruders hinter ihr ertönte.
„Callie? Calandra!“
Sie wirbelte herum. Der Duke stand am Ende der Terrasse an der offenen Glastür und blickte sich suchend um. Dann setzte er sich mit gefurchter Stirn in Bewegung und rief ihren Namen erneut.
„So ein Mist!“, entfuhr es Callie, während ihr Retter erstaunt die Brauen hochzog, eine vornehme junge Dame fluchen zu hören. Er hatte Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. „Ein weiterer Herr, den Sie nicht zu sehen wünschen, wie?“
„Mein Bruder“, erklärte Callie. „Er macht mir gewiss eine Szene. Na schön, es hat keinen Sinn, länger zu warten. Wollen wir es einfach hinter uns bringen.“ Sie setzte sich in Bewegung mit dem Selbstvertrauen einer jungen Frau, die keine strengere Bestrafung erwartete als eine brüderliche Zurechtweisung.
Ihr Begleiter folgte ihr achselzuckend und holte Callie ein. „Ich bin hier“, rief sie. „Es ist alles in Ordnung, Sinclair. Bitte beruhige dich und mach mir keine Szene.“
Rochford eilte dem Paar entgegen, seine Unmutsfalten glätteten sich. „Was zum Teufel hast du hier draußen zu suchen? Fühlst du dich nicht wohl?“
Als sie ins Licht traten, bemerkte Callie, wie ihr Begleiter den Atem scharf einzog und jäh stehen blieb. Sie wandte sich ihm
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