MASKENBALL UM MITTERNACHT
Heimweg von ihrem Club überfallen und ausgeraubt wurden, wie sie in der Zeitung gelesen hatte. Und wenn Einbrecher planten, ein Haus zu plündern, war dies genau der richtige Zeitpunkt, um das Verbrechen zu begehen.
Selbst wenn sich kein Diebesgesindel herumtrieb, könnten ihr auch vornehme Herren im angetrunkenen Zustand gefährlich werden, die in einer Frau, die sich um diese Zeit auf die Straße wagte, leichte Beute witterten, nicht aber eine züchtige Dame der besten Gesellschaft vermuteten. Und Callie hatte nicht den Wunsch, für eine Dirne gehalten zu werden, die nachts ihrem Gewerbe nachging.
Beim Geräusch knirschender Räder und klappernder Pferdehufe zuckte sie erschrocken zusammen. Ohne sich umzudrehen, setzte sie ihren Weg tapfer fort und versuchte, ihre Schritte nicht auffällig zu beschleunigen. Vielleicht würde der Fahrgast im Wagen sie in ihrem langen Umhang für einen Mann halten oder schaute gar nicht aus dem Fenster.
Als der Wagen ratternd an ihr vorüberfuhr und in eine Querstraße einbog, atmete sie erleichtert auf, beschleunigte ihre Schritte und überquerte eine Straßenkreuzung. Der kurze Weg zu Lady Haughstons Haus, den sie schon oft zurückgelegt hatte, erschien ihr nun unendlich lang, und sie zog bereits in Erwägung, umzukehren, schalt sich aber einen Hasenfuß und ging tapfer weiter.
In einiger Entfernung bog eine Gestalt um die Straßenecke und näherte sich ihr. Callie verlangsamte ihre Schritte mit bangem Herzklopfen, doch dann ging sie entschlossen weiter. Wenn sie jetzt kehrtmachte und floh, würde sie dem Fremden vielleicht Anreiz bieten, sie zu verfolgen, und sei es nur, um seine Neugier zu stillen.
Und dann bemerkte sie etwas Ungewöhnliches an der Gestalt, das sie förmlich zwang, ihren Weg fortzusetzen. Sie verengte die Augen, um im schwachen Schein der Gaslaterne besser sehen zu können. Der Mann, der sich ihr näherte, trug keinen Mantel oder Umhang, nicht einmal einen Zylinder. Es handelte sich zwar eindeutig um einen Mann, aber etwas an seiner Kleidung war seltsam. Sein Jackett hatte gebauschte Puffärmel, seine weiten Hosen steckten in hohen Schaftstiefeln. Er trug nicht den üblichen Abendanzug eines vornehmen Herren – seine merkwürdige Kleidung wirkte wie ein Phantasiekostüm. Und seinen Spazierstock schien er seitlich in den Gürtel gesteckt zu haben.
Ihr erster Gedanke war, dass der Mann erheblich einen über den Durst getrunken hatte und ihr zweiter … aber nein, das war unmöglich!
Callie blieb jäh stehen.
Der Mann näherte sich ihr unbeirrt, und mit jedem seiner federnden Schritte wuchs ihre Gewissheit, dass ihre Augen ihr kein Trugbild vorgaukelten.
„Lord Bromwell!“, entfuhr es ihr verblüfft.
Im nächsten Moment wünschte sie, die Worte wären ihr nicht entschlüpft, wünschte, sie hätte auf der Stelle kehrtgemacht und wäre nach Hause geeilt. Wenn er sie erkannte, würde er sie für verrückt halten oder schlimmer noch, für eine Frau ohne Moral. Allerdings käme er nicht auf die Idee, die Schwester eines Dukes würde ihre Gunst verkaufen, er würde ihr vielmehr unterstellen, sie eile zu dieser nächtlichen Stunde zu einem romantischen Stelldichein. Eine heimliche Liebschaft war für eine verheiratete Frau höchst skandalös, eine unverheiratete junge Dame besiegelte damit ihren gesellschaftlichen Ruin.
Callies Herz krampfte sich schmerzlich zusammen bei dem Gedanken an die Verachtung, die sie von Bromwell zu erwarten hatte. Wenn er in Umlauf brachte, er sei ihr nachts auf der Straße begegnet, wären ihr Ruf und ihre Ehre unrettbar verloren, ihr Bruder und ihre Familie wären der gesellschaftlichen Ächtung preisgegeben. Bekannte und Freunde würden ihr zwar keinen Fehltritt zutrauen, und ihr blieb als einzige Hoffnung, dass Bromwell – auch wenn er sie verdammte – als Gentleman die peinliche Begegnung für sich behalten würde, um ihr und ihrer Familie diese grässliche Schmach zu ersparen.
Doch aus welchem Grund sollte sie Nachsicht von ihm erwarten? Er kannte sie nur flüchtig, und Sinclair hatte sich ihm gegenüber ausgesprochen unhöflich, ja sogar feindselig verhalten. Wer weiß, was Sinclair ihm noch vorgeworfen hatte, nachdem er sie fortgeschickt hatte. Bromwell hatte kaum Grund, sie in Schutz zu nehmen. Vermutlich würde er voller Genugtuung die Gelegenheit ergreifen, dem Duke eins auszuwischen und sie in der Gesellschaft bloßzustellen.
Und überhaupt, wieso hatte ihr Bruder sich so verhalten? Sinclairs Einmischung und seine
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