MASKENBALL UM MITTERNACHT
unter die Arme und macht, dass ihr nach Hause kommt.“
Die Herren beeilten sich, zu gehorchen, zerrten den leblosen Swanson vom Stuhl, legten sich seine schlaffen Arme um die Schultern und schleppten ihn aus dem Separee. Miss Turner und die mittlerweile in Tränen aufgelöste Miss Swanson sammelten ihre Masken und Fächer ein. Miss Turner hatte offenbar auch noch einen Schuh verloren und wusste partout nicht, wo sie ihn suchen sollte.
Bromwell warf seiner Schwester einen finsteren Blick zu. „Nun, dann werden Sie sich wohl ein Paar Schuhe von Lady Swithington borgen müssen. Sie wird nach unserer Ankunft in ihrem Haus Ihre Eltern schriftlich davon unterrichten, dass Sie beide wegen der späten Stunde bei ihr übernachten. Hoffentlich genügt das, um Ihren guten Ruf zu retten – vorausgesetzt, keiner Ihrer Bekannten hat Sie heute Nacht ohne ihre Verkleidung in Vauxhall gesehen.“
Seine Vorhaltungen löste einen weiteren Tränenstrom und bitteres Wehklagen bei Miss Swanson aus, und sogar Miss Turner einfältiges Dauerlächeln begann zu schwinden. Der Earl ließ die bedauernswerten Geschöpfe stehen und wandte sich wieder mit einem strafenden Blick an seine Schwester.
„Na schön, Brom“, erklärte diese gereizt und nahm ihre Sachen an sich. „Ich bin fertig. Mein Gott, hast du dich in einen sauertöpfischen Hagestolz verwandelt. Ist das etwa Lady Calandras Einfluss? Ich muss schon sagen, du benimmst dich ausgesprochen uncharmant.“
„Sei still!“ Seine Miene war versteinert, seine Augen funkelten kalt. „Kein Wort über sie, oder du wirst noch mehr zu hören bekommen, als dir lieb ist. Wir sprechen später darüber, nachdem deine Schützlinge zu Bett gebracht wurden.“
Achselzuckend legte sie sich ihr Dominocape um die Schultern und verließ das Separee, gefolgt von den zerknirschten Mädchen. Bromwell begleitete die Damen schweigend nach Hause. Miss Swanson schniefte noch immer und betupfte sich die Augen mit einem Spitzentüchlein. Miss Turner wirkte bedrückt und litt unter Übelkeit. Lady Daphne hielt das Gesicht dem Fenster zugewandt, obgleich der geschlossene Vorhang ihr die Sicht nach draußen versperrte.
Sobald sie das Haus betraten, brachte Daphnes Zofe die beiden Mädchen zu Bett, während Daphne sich seufzend an den Schreibtisch setzte und zwei Briefe an die jeweiligen Eltern verfasste, wie Bromwell es ihr aufgetragen hatte. Nachdem sie einen Diener damit losgeschickt hatte, wandte sie sich mit verschränkten Armen an ihren Bruder.
„Also gut, heraus mit der Sprache, bevor du daran erstickst“, erklärte sie knapp.
„Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?“, platzte er heraus. „Lady Calandra allein in der Loge zurückzulassen? Ist dir nicht klar, welchen Schaden du ihrem Ruf damit zufügen könntest?“
„Also Brom, seit wann hast du dich in einen prüden Moralapostel verwandelt? Ich wollte dir doch nur helfen.“
„Mir helfen? Indem du Callie mit Trunkenbolden allein lässt, die niemand kennt? Mitten in der Nacht in Vauxhall Gardens?“
„Nun übertreibst du aber maßlos, findest du nicht?“, entgegnete Daphne entrüstet. „Das klingt ja, als hätte ich sie mitten auf der Promenade stehen lassen. Dabei saß sie geschützt in einem geschlossenen Separee.“
„Und jeder Passant konnte sehen, dass sie ohne Begleitung war“, schleuderte er ihr entgegen. „Ach, ich vergaß, bis auf den Herrn, der sturzbetrunken über dem Tisch lag!“
„Ich wusste, dass du bald kommst“, hielt Daphne ihm gelassen entgegen, „sie war nur ein paar Minuten allein. Was kann ich dafür, dass dieser dämliche Swanson sich betrinkt. Woher sollte ich wissen, dass er keinen Alkohol verträgt? Ich wollte lediglich dafür sorgen, dass du ein Weilchen allein mit ihr sein kannst.“ Sie näherte sich ihm mit ausgestreckten Händen. „Nun komm schon, sei mir nicht mehr böse. Ich wollte dir wirklich nur helfen. Ich hab doch gesehen, wie Lady Haughston ihren Schützling mit Argusaugen bewacht, und versuchte nur, eine Situation zu schaffen, in der ihr beide ein bisschen Zeit für euch habt.“ Daphne lächelte listig. „Lange genug, bis du dein Ziel erreicht hast.“
„Wie bitte? Denkst du, ich habe vor, ihren guten Namen zu beschmutzen?“, fragte er fassungslos und übersah geflissentlich ihre ausgestreckten Hände. „Daphne, wie kannst du so von mir denken? Ich sagte dir doch, dass ich nicht die Absicht habe, ihr Schaden zuzufügen. Wieso sollte ich so etwas tun? Es war ihr Bruder, der dich
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