MASKENBALL UM MITTERNACHT
in ihr Kabinett, um noch ein paar Dinge zu erledigen, wie sie sagte.
Callie eilte die Treppe hinauf, die lange unterdrückten Tränen schnürten ihr die Kehle zu. Ihre Zofe Belinda, die in ihrem Zimmer wartete, schickte sie kurzerhand zu Bett, ohne auf das erschrockene Gesicht des Mädchens zu achten.
Endlich war sie allein. Sie stand eine Weile im Zimmer, und allmählich fiel der Schutzpanzer von ihr ab, mit dem sie sich umgeben hatte. Den ganzen Abend hatte sie sich jede Gefühlsregung untersagt, hatte nicht einmal zugelassen, an ihren Schmerz zu denken, um eine kühle Fassade zu präsentieren. Doch nun stellte sie sich endlich der Wahrheit: Lord Bromwells Gefühle für sie waren erloschen. Aus unerfindlichen Gründen hatte er das Interesse an ihr verloren. Mit dieser bitteren Tatsache musste sie sich abfinden.
Ein gequälter Laut brach sich Bahn – halb Stöhnen, halb Schluchzen. Callie warf sich aufs Bett und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Am nächsten Morgen erschien sie blass und übernächtigt zum Frühstück, lehnte jedoch Francescas Angebot, keine Besucher zu empfangen, mit Bestimmtheit ab.
„Nein, ich will mich nicht verstecken, und Mitleid will ich schon gar nicht. Natürlich wird es Gerede geben, warum Lord Bromwell meiner überdrüssig wurde. Wenn ich mich aber trübsinnig in mein Schneckenhaus verkrieche, gebe ich den Lästerzungen nur noch mehr Gesprächsstoff.“
„Du bist ein tapferes Mädchen“, lobte Francesca anerkennend. „Ich fürchte allerdings, wir werden uns in nächster Zeit vor neugierigen Besuchern kaum retten können.“
Wie sich herausstellte, hielt der Ansturm sich in erträglichen Grenzen. Allerdings war Callie an diesem Nachmittag vollauf damit beschäftigt, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Sie bemühte sich, immer wieder glaubhaft zu versichern, Lord Bromwells Anwesenheit kaum bemerkt zu haben, da sie sich vor Verehrern kaum retten konnte, die sie um einen Tanz baten.
Am späten Nachmittag waren keine Besucher mehr zu erwarten, und Francesca gab dem Butler sicherheitshalber Anweisung, niemand mehr vorzulassen. Erschöpft nahmen die Freundinnen im kleinen Salon Platz, um sich bei einer Tasse Tee von dem Besucherstrom zu erholen.
Francesca war gerade im Begriff, Tee einzuschenken, als lautes ungeduldiges Klopfen an der Haustür bis in den Salon drang. Francesca und Callie wechselten erstaunte Blicke, ließen sich aber nicht weiter stören. Kurz darauf erschien der Butler mit gequälter Miene.
„Ehm …“ Nach kurzem Zaudern sprudelte er heraus: „Verzeihung, Mylady, Seine Gnaden der Duke of Rochford besteht darauf, Sie zu sprechen.“ Nicht einmal Fenton hatte es gewagt, dem Duke die Tür zu weisen.
Francesca und Callie sahen einander alarmiert an. Ein schreckliches Ende eines schrecklichen Tages, schoss es Callie durch den Kopf. Offenbar waren Sinclair die häufigen Besuche von Lord Bromwell zu Ohren gekommen, und nun hatte er vor, sie zur Rechenschaft zu ziehen.
„Gut Fenton, bitten Sie ihn herein“, sagte Francesca seufzend und erhob sich. Callie erhob sich gleichfalls.
Kurz darauf stürmte der Duke ins Zimmer. Er trug Reitkleidung, der lehmbespritzte Zustand seiner Stiefel ließ darauf schließen, dass er nach einem halsbrecherischen Ritt umgehend Francesca aufgesucht hatte, ohne sich die Zeit zu nehmen, sich in Lilles House umzukleiden. Sein dunkles Haar war windzerzaust, sein Miene eisig, und in seinen Augen glühte ein zorniges Funkeln, das nichts Gutes verhieß.
„Was zum Teufel geht hier vor?“, fragte er mit donnernder Stimme an Callie gewandt, ohne ein Wort der Begrüßung. „Ich erhielt einen Brief von Großmutter, in dem sie mich davon unterrichtete, dass du ständig in Bromwells Begleitung gesehen wirst. Einige Damen sollen sogar Andeutungen gemacht haben, man habe demnächst eine ‚wichtige Ankündigung‘ zu erwarten.“
„Es tut mir leid, wenn Großmutters Brief dich aufgebracht hat, Sinclair“, antwortete Callie kühl. „Allerdings hättest du dir die Mühe ersparen können, persönlich anzureisen.“
„Verdammt noch mal, Callie!“ brüllte er. „Spiel hier nicht die Unschuldige! Ich habe dir den Umgang mit diesem Mann untersagt. Und Sie …“, damit fuhr er zu Francescas herum. „Zum Teufel! Wie konnten Sie so pflichtvergessen sein und zulassen, dass dieser Mann um meine Schwester herumscharwenzelt?“
„Ich muss schon sehr bitten!“, wies Francesca ihn mit erhobener Stimme zurecht. „Was erlauben Sie sich! Wollen Sie
Weitere Kostenlose Bücher