Maskerade in Rampstade (German Edition)
am angenehmsten verbringen könnte, da wurde die Tür aufgerissen und George stürmte herein. Die Wangen waren vor Zorn gerötet und die blonden Haare standen seltsam wirr von seinem Kopf ab, so als habe er sie mit beiden Händen gerauft. Etwas Außergewöhnliches mußte passiert sein.
»Er kommt nicht!« rief er aus und warf sich auf den nächstbesten Stuhl. »Der Notar kommt nicht.«
»Was ist geschehen?« wollte Hetty wissen und vergaß ganz ihr nervöses Kichern.
»Ein Bote war eben da. Er sagte, der Notar sei krank. Er käme erst nächste Woche.«
»Nächste Woche!« rief ich entsetzt. »Wie lange sollen wir diese unwürdige Komödie noch spielen?«
Ich hatte Miss Heather ganz vergessen gehabt, die sich zwar zum Gehen gewandt hatte, aber von Neugierde getrieben in der Türe stehengeblieben war.
»Was für eine Komödie meinst du?« unterbrach sie mich jetzt.
»Wollt ihr denn eine Aufführung einstudieren? Eine Scharade vielleicht? Das wäre aber wirklich eine gelungene Abwechslung. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir das als Kinder immer machten. Mein Bruder Godfrey, du kannst dich doch noch an ihn erinnern, George, an deinen Großonkel Godfrey, der dir immer Schokolade mitbrachte, wenn …?«
George, der wie versteinert auf seinem Stuhl gesessen war und wie benommen den völlig unpassenden Ausführungen seiner Tante gelauscht hatte, unterbrach sie nun brüsk: »Bist du sicher, daß du nichts Dringendes zu tun hast, Tante Heather?« sagte er nicht eben höflich. »Wenn ich mich nicht irre, hat Großmutter eben nach dir gerufen.«
Das war wirklich etwas dick aufgetragen. Nie hätte man die Stimme der Hausherrin von ihrem Schlafgemach, quer durch das ganze Haus, bis zu uns an den Frühstückstisch hören können, und deshalb begann Hetty auch sofort zu kichern. Aber immerhin erfüllte die Bemerkung ihren Zweck. Die Tante verließ, Entschuldigungen stammelnd, das Zimmer.
»Kann nicht ein anderer Notar geholt werden?« nahm ich den Faden wieder auf.
George schüttelte den Kopf: »Nein, Großmutter besteht auf dem alten Barntley. Sie will diese heikle Sache keinem Fremden anvertrauen. Und ehrlich gesagt, hat sie recht. Barntley überwacht seit Jahren, fast schon seit Großvaters Tod, die Verwaltung der Besitzungen. Er weiß über alles bestens Bescheid.«
»Die Herzogin hat mir erzählt, sie wolle jenen Teil der Ländereien, der südlich des Baches liegt und direkt an Grandfox Hall grenzt, an deinen Cousin vermachen«, fiel mir plötzlich ein.
George stutzte. Ich war gespannt auf seine Reaktion. Würde diese Mitteilung einen neuerlichen Wutanfall auslösen? War er gierig genug, seinem Cousin auch den kleinen Anteil an der Erbschaft zu mißgönnen?
Doch er reagierte, wie ich es erhofft hatte: »Das soll sie ruhig tun«, sagte er. »Ich find’s gut, wenn auch Max einen Teil abbekommt. Schließlich leben wir doch dereinst hier als Nachbarn. Und da ist es mir angenehmer, mit ihm in Frieden zu leben. Außerdem mag ich keinen Streit in der Verwandtschaft.«
Das war zwar sehr edelmütig gesprochen. Dennoch wußte ich, daß George jeden Streit mit seinem Vetter in Kauf genommen hätte, um sich den Hauptteil des Erbes zu sichern.
»Ich reite nach York«, sagte er nun unvermittelt. »Und ich hole den Notar hierher. Wir werden schon sehen, ob der Mann wirklich so krank ist, wie er behauptet.«
Er war aufgesprungen und zur Tür geeilt, als Hetty sich entschloß, ihn zu begleiten. So fand ich mich überraschend allein gelassen im Frühstückszimmer wieder. Wie sollte ich diesen Tag verbringen?
Ich beschloß, mich umzukleiden und auszureiten und setzte diesen Entschluß auch gleich in die Tat um. So verbrachte ich einen recht angenehmen Vormittag damit, auf Rosalind durch Wiesen und Wälder zu streifen. Es hatte merklich abgekühlt und Rauhreif lag auf den Stoppelfeldern. Auch die Morgennebel, die sich in den vorangegangenen Tagen noch im Laufe des Vormittagsgelichtet hatten, blieben nun hartnäckig liegen und hüllten die Landschaft in ein graues und trosloses Bild.
Nach einem einsamen Lunch machte ich mich auf die Suche nach Miss Heather, um sie zu fragen, ob ich ihr bei irgend etwas im Hause helfen konnte. Doch es hieß, sie befände sich im Zimmer der Herzogin und dürfe keineswegs gestört werden. Also zog ich mich mit meinem Roman, den ich vor einigen Tagen zu lesen begonnen hatte, in die Bibliothek zurück. Dort wollte ich auf die Rückkehr von Hetty und George warten. Hoffentlich würde es ihnen
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