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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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vor, in seiner schwarzen Robe, die ihm bei einer Körpergröße von einsneunzig wahrscheinlich zu kurz sein würde, wie er mit verschränkten Armen vor dem Staatsanwalt stehen und mit seiner fast klischeehaft rauen Tony-Montana-Stimme sagen würde: »Sie drohen mir?« Er wäre ein Top-Anwalt, nicht ganz so sauber wie die meisten Anwälte, dafür überzeugend – die wirklich wichtige Eigenschaft eines Rechtsanwaltes. Das herrliche Fantasiebild wurde plötzlich zerrissen: von einem Aufschrei, der an das Gekreische einer Frau in den Wehen erinnerte. Ashraf holte aus und traf, glücklicherweise, ins Leere. Ich versuchte ihn zu beschwichtigen.
    »Das ist doch nur ein Plakat!«, rief ich, doch Ashraf hörte nicht mehr zu.
    Er war wie im Wahn und holte immer wieder aus. Der Unbekannte wich zur Seite, und das Schwert zerstückelte die Luft. Langsam zweifelte ich daran, es würde hier nur um ein Plakat gehen. Der Plakatreißer rannte mit der Geschwindigkeit einer Gazelle, die vor dem Löwen flieht, davon und entschied sich, lieber ein lebender Schwächling, als ein toter Held zu sein. Ich hatte Verständnis, jedem wären beim Anblick dieses Schwertes die Eier auf Erbsengröße geschrumpft. Der Unbekannte rannte um sein Leben, Ashraf hinter ihm her, ich hinter Ashraf her. Ich konnte mich nur schwer mit dem Gedanken abfinden, jemand würde wegen meiner Plakate enthauptet werden. Rentner warfen sich vor Schreck fast ins Gebüsch, und verängstigte Mütter zogen ihre Kinder zur Seite, während Passanten die Polizei riefen. Die Polizei würde kommen, sich umsehen und wieder gehen. Neukölln war eben Neukölln, man hatte den Stadtteil aufgegeben. Außerdem hatte die Polizei auch genug mit anderen Problemen zu kämpfen, etwa mit nicht angeleinten Hunden in Charlottenburg. Mir ging irgendwann die Puste aus, und ich blieb stehen. Das Letzte, was ich sah, war, wie Ashrafs Klinge am Horizont verschwand.
    Das Video zum Ghettolied hatte die Erwartungen aller gesprengt. Ich hatte es eigenhändig zu MTV und VIVA gebracht, eine Woche später wurde es dort rauf und runter gespielt. Von da an stand mein Handy nicht mehr still. Azad, große und kleine Labels, Independent-Künstler – alle riefen bei mir an, sie wollten entweder ein Feature mit mir machen oder mich anwerben. Urplötzlich wollte alles, was Rang und Namen in der Hiphop-Welt hatte, mit mir zusammenarbeiten, aber ich blieb ruhig und lehnte dankend ab. Das konnte es noch nicht sein, dachte ich mir – ich wartete noch auf den ganz großen Deal. Erst als das Gesicht zu Massiv deutschlandweit bekannt wurde, verstand ich, was Kubilay mit Krieg gemeint hatte. Die vorigen Drohungen waren gegen das, was mich noch erwartete, ein Klacks gewesen. An manchen Tagen entpuppte es sich als Herausforderung, die Haustür zu verlassen und unbeschadet zurückzukehren.
    Andauernd wurde ich angesprochen oder bedroht, Jugendliche, Heranwachsende und erwachsene Männer, Einzeltäter oder Clanmitglieder warfen mir vor, den Berlinern etwas wegzunehmen. Anfangs amüsierten mich derart lächerliche Unterstellungen. Aus meiner Sicht hatte ich den Berlinern etwas gegeben und nicht weggenommen. Ich hatte den Wedding berühmt gemacht, Menschen und Medien dazu veranlasst, über die vergessenen Stadtteile Deutschlands zu diskutieren. Doch die Provokationen wurden nicht weniger, auf einen Hassan folgten zehn neue, sie vermehrten sich wie Karnickel und krochen aus ihren Bodenlöchern, mit der Absicht, mir das Geld aus der Tasche zu ziehen.
    Dummerweise konnte von verdientem Geld noch gar keine Rede sein, und weniger als die Möchtegern-Gangster stellte das mein vorrangiges Problem dar. Es war eine harte Zeit. Mein Song lief auf Deutschlands größten Musikkanälen, und doch war ich blank wie mein kahl rasierter Schädel. Der Weg nach oben führte über Etappen, die ich in meinem Masterplan nicht einkalkuliert hatte. Mit dem Ghettolied und meinem Auftreten erhitzte ich viele Gemüter; die einen sprachen mir ihren Zuspruch aus, die anderen fühlten sich von mir provoziert, und die meisten wollten ein Stück vom Kuchen – einem Kuchen, der noch nicht einmal gebacken war. Doch kalt ließ es keinen. Ich hatte ein Streichholz angezündet, und ein Flammenmeer war das Ergebnis. Es gab keine Großfamilie in Berlin, die sich nicht um mich kümmern wollte. Arabische Familienclans: Vor meinem Einzug nach Wedding hatte ich noch nie etwas von ihnen gehört. Ich wusste nicht einmal, dass sie existierten. Berlin aber hatte

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