Massiv: Solange mein Herz schlägt
Nervosität und Anspannung. Ich schloss meine Augen, holte noch einmal Luft, hörte meine innere Stimme, die mir immerfort zusprach: »Du hast es geschafft – du hast deinen Traum wahrgemacht!«, und tat, was ich immer tat, bevor ich auf die Bühne ging: Ich dankte Allah.
»Massiv, Massiv …«, riefen Tausende Stimmen meinen Namen, Abertausende Augen sahen zu mir hoch, so wie ich selbst noch vor einiger Zeit zu meinen Idolen hochgeschaut hatte. Und nun war ich selbst ein Idol. Der Beat ging an, und ich ging ab. Ich rappte mir die Seele aus dem Leib, als wäre ich das erste und letzte Mal auf einer Bühne, denn nur, wenn man sich vor Augen hält, dass es jeden Moment vorbei sein könnte, ist man bereit, alles zu geben.
Einige Zeitungen schrieben, ich sei das Authentischste, was der deutsche Hiphop hervorgebracht habe. Man könnte mein Abbild in Stein meißeln und im Wedding aufstellen – repräsentativ für alle Kanaken. Trotzdem war das nicht die Triebfeder meines Erfolges, ich hatte auch genügend deutsche Fans, die sich mit mir und meiner Musik identifizieren konnten. Es lag an meiner Stimme, die aus meinem tiefsten Inneren kam. Ich schaffte es einfach, mein Herz sprechen zu lassen, Leid, Freude, Trauer und andere Emotionen, die in mir oder einem Song steckten, rauszulassen – freizulassen – und sie mit meinen Fans zu teilen. Ich war nicht unantastbar, sondern einer von unten, einer, der Armut und Frust kannte, der wusste, wie schwer es war, seine Träume zu verwirklichen. Meine Musik war nicht nur zu einem Ventil für mich, sondern für Tausende Jugendliche geworden.
Ich fegte in kreisenden Bewegungen über die Bühne und spürte die Energie, die ich meinen Fans gab und die meine Fans mir zurückgaben. Es war unglaublich, gestern war ich noch das Migrantenkind, mit dem keiner etwas zu tun haben wollte, und heute stand ich auf einer Bühne vor zehntausend Menschen. So schnell konnte es gehen. Immer, wenn ich einen Blick in die kreischende Menge warf und sah, wie Münder sich synchron zu meinen Texten bewegten, raubte es mir den Atem.
Bis zu dem Moment, an dem ich beschlossen hatte, meinem Traum zu folgen, bestand mein Leben nur aus Fehltritten und Misserfolgen. Ich musste mit verschlossenen Türen, Gerichtsvollziehern, einer verzweifelten Mutter und manchmal mit meinen Fäusten kämpfen. Ich hatte mehr als genug Ausreden, meine Träume in den Sand zu setzen. Keiner hatte ernsthaft daran geglaubt, ich würde das, was ich prophezeit hatte, auch wahr machen können. Ich hielt mich nicht für ein überragendes Talent, mir fehlten Übung und Erfahrung, und die Chancen, in einem 40000-Einwohner-Kaff groß rauszukommen, standen auch eher schlecht. Nichts sprach für mich und alles gegen meinen Traum.
Doch ich war hungrig, hungrig nach einem anderen Leben, einem Leben, in dem ich respektiert und geachtet wurde. Ich hatte diesen unbedingten Willen gehabt, es zu schaffen, und nur weil der Wille stärker war, als die Angst zu scheitern, kam ich am Ende auch an. Einen Traum zu verwirklichen war eben nicht nur eine Frage der Möglichkeiten, des Geldes oder der Meinung anderer. Was man vor allem benötigte war der Wille und, nun ja, vielleicht auch etwas von dem, das mein Opa Löwen-Gen nannte. Manchmal musste man eben einfach handeln, ohne Angst vor Konsequenzen.
Keine vier Monate nachdem das Ghettolied durch die Decke gegangen war, verhandelte ich schon mit Sony, Universal und Warner. Ich trennte mich im Guten von MC Basstard und seinem Label – die Sache war einfach zu groß geworden. Das Produkt Massiv hatte einen Hype entfacht, den ein Undergroundlabel einfach nicht mehr lenken konnte. Dennoch hatte MC Basstard den entscheidenden Stein ins Rollen gebracht, indem er mir eine Plattform gegeben hatte.
Sie überschlugen sich mit ihren Angeboten, als wären wir auf einer Auktion, und schmeichelten mir wie der Zuhälter einer seiner Prostituierten. Sie lockten mich mit Geld und … mit Geld – viel Geld. Plötzlich war der Junge aus der Provinz, mit dem einst nur ein Bastard zusammenarbeiten wollte, der Honig, um den die Bienen kreisten. Der Hype, den ich selbst, ohne einen Major-Deal, entfacht hatte, verwunderte nicht nur mich, sondern auch die größten Musikkonzerne. Das Produkt Massiv war wie ein Haus ohne Dach: Ich war fleißig gewesen und hatte die Wände aus eigener Kraft und mit meinem eigenen Schweiß errichtet, doch nun fehlte mir das nötige Kleingeld, um meinen Bau zu vollenden. Anfangs wollte
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