Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
Vom Netzwerk:
Kind dran. Sie wollte nicht einmal meinen Namen wissen. Da wusste ich schon, mit Schwester Birgitta würde es Ärger geben. Sah mich Schwester Birgitta den Gang entlangkommen, ermahnte sie mich: »Nicht schlurfen!« Sah sie mich auf dem Hof spielen, hieß es: »Nicht spielen!« Wenn ich Hausaufgaben machte, meckerte sie: »Nicht radieren!« Irgendwann merkte ich, dass ich der Einzige war, der nicht schlurfen, spielen und radieren durfte. Schwester Birgitta sah mich nie an, sondern schaute durch mich durch, als wäre ich eine Fensterscheibe. Wenn sie mich ansprach, sagte sie immer nur »Du da«. »Du da, nicht schlurfen«, »Du da, nicht so laut kauen«, »Du da, Ruhe!«. Wenn sie »Du da« sagte, wusste jeder in der Gruppe, wer gemeint war. Nach einigen Wochen nannten mich alle nur noch Duda. Duda hier, Duda da. Zum Arsch mit Duda. Ich hatte die Schnauze gehörig voll vom Kindsein. Alles war verboten. Es war nicht fair: Die Erwachsenen machten, was sie wollten, und Kinder waren die Sklaven ihrer Verbote. Schwester Birgitta hasste es, wenn ich laute Geräusche machte. Ich musste meine Tasche ganz leise im Spind einschließen und mich ganz leise durch den Raum bewegen. Dabei war ich ein Kind, und einem Kind fällt mal etwas runter, oder es muss niesen. Und eigentlich sind Kinder allgemein gar nicht gut darin, ganz leise zu sein. Wenn ich Schwester Birgitta zu laut war, brüllte sie mich vor den anderen Kindern an. Sie schrie und schrie; ich fragte mich, ob Schwester Birgitta noch bei Trost war. Warum sollte ich ganz leise sein, während sie sehr laut war? Was war mit den Erwachsenen los? Sie machten lauter Regeln, an die sie sich selbst nicht hielten. Ich hatte eine Lernschwäche, aber das interessierte Schwester Birgitta nicht die Bohne. Sie fand, ich wäre ohnehin ein hoffnungsloser Fall. Wenn wir eine Aufgabe bekamen, musste ich diese so lange bearbeiten, bis alles fehlerlos gelöst war. Ich schaffte es kein einziges Mal, eine Aufgabe fehlerlos zu lösen.
    Ich musste jedes Mal von vorne beginnen. Ein neues Stück Papier. Schreiben. Fehler. Zerknüllen. Ein neues Stück Papier. Schreiben. Fehler. Zerknüllen. Ich durfte nicht radieren oder durchstreichen und musste bei jedem Fehler von vorne beginnen. Ich war eben »Duda« und hatte einen Sonderstatus – ich durfte nichts, was die anderen durften. Von wegen, alle Nonnen sind nett. Nur weil man sich als Nonne verkleidet, war man nicht gleich eine. Wenn ich das Gefühl hatte, endlich etwas richtig zu Papier gebracht zu haben, stand ich auf, ging zu Schwester Birgittas Pult und reichte ihr stolz meinen fertigen Aufgabenzettel. Doch sie fand immer einen Fehler. Das a sehe aus wie ein d, meinte sie und zerriss meinen Zettel. Die anderen Kinder kicherten. Die hatten aber auch Radiergummis. Und die Radiergummis hätte ich ihnen am liebsten in die schadenfrohen Mäuler gestopft. Zwei Wochen lang schaffte ich es kein einziges Mal auf den Hof, denn Schwester Birgitta erlaubte uns nur auf dem Hof zu spielen, wenn wir die Aufgaben richtig gelöst hatten. Alle Kinder spielten auf dem Hof, ich saß an meinem Pult, machte Schulaufgaben und dachte mir, dank der Nonne war ich wieder zu einem Außenseiter geworden. Als ich dann endlich das Gefühl hatte, alles richtig gemacht zu haben, legte ich das Blatt auf Schwester Birgittas Pult. Sie machte mehrere Haken, am Ende gab sie mir den Zettel zurück.
    »Alles richtig, aber da ist ein Abdruck von deinen kleinen schmutzigen braunen Fingern, schreibe alles noch mal sauber ab«, befahl sie. Ihr schadenfroher Unterton machte mich fuchsteufelswild.
    »Einen Arsch werde ich tun!« Ich biss mir auf die Zunge, ich hatte »Arsch« vor einer Nonne gesagt und vor einer Nonne geflucht. Das würde zu Hause mächtig Prügel geben – am Arsch war ich. Schwester Birgitta stand auf, zog mich an meinen Ohren in Richtung meines Sitzplatzes, alle anderen Kinder waren bereits auf dem Hof.
    »Hältst dich für etwas Besseres, ja?«
    »Nein, Schwester Birgitta.«
    »Meinst du, ich lasse so mit mir reden?«
    »Nein, Schwester Birgitta.«
    »Du wirst das jetzt alles noch mal sauber abschreiben, hast du mich verstanden?«
    »Ja, Schwester Birgitta.«
    »Ich wusste sofort, dass mit dir etwas nicht stimmt.«
    »Ja, Schwester Birgitta.«
    »In dir steckt der Teufel. Das fühle ich.«
    »Aber, Schwester Birgitta …«
    »Wie war dein Name, du elender Bengel?«
    »Wasiem.«
    »Herr im Himmel, was haben sich deine Eltern dabei gedacht?«
    »Weiß nicht, Schwester

Weitere Kostenlose Bücher