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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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auf den anderen Tag lief ich nicht mehr wie ein armer Lümmel, sondern wie ein kleiner Schnösel herum. Als Mama mich mit den neuen Schuhen sah, log ich, Mirac hätte sie mir geschenkt; als sie mein Nintendo fand und ich meinte, den vom Flohmarkt zu haben, zeigte sie mir den Vogel. Irgendwann hatte ich in jedem Geschäft der Stadt Hausverbot, und Mama weinte dauernd, weil sie mich dreimal die Woche von der Polizei abholen musste. Baba schimpfte und meinte, Deutschland hätte lasche Gesetze und Kinder wie ich gehörten in den Knast. Mirac und ich machten auch normale Sachen, wie den Rasen von alten Damen mähen, Schuhe vor Einkaufszentren putzen und Zeitungen austragen. Uns ging es nicht darum, womit wir unser Geld verdienten, sondern dass wir Geld verdienten, und einen Monat lang Rasenmähen brachte nicht halb so viel ein wie der Verkauf eines gestohlenen Druckers. Mirac war der Ansicht, wir wären weder helle noch talentiert – und Menschen, die weder helle noch talentiert waren, hätten wenig Möglichkeiten, etwas aus ihrem Leben zu machen. Solche Menschen wurden weder Ärzte noch Anwälte, sondern hatten meistens irgendeinen langweiligen Beruf wie Lackierer, Maler, Fliesenleger, Kassierer oder Büroangestellter. Mirac hatte kein Problem mit Fliesenlegern und Malern, aber wer nahm sich schon einen Fliesenleger zum Vorbild und wie viele Wände musste ein Maler streichen, um Millionär zu werden? Als ich mich erkundigte, was wir sonst machen sollten, antwortete er immer dasselbe:
    »Wir müssen Geld machen – sonst vergammeln wir in dieser öden Stadt«, nickte Mirac zielbewusst. »Jeder kennt New York, aber fahr nach New York und frag mal nach Pirmasens, die zeigen dir den Fuck-Finger! Fuck auf Pirmasens, wir müssen nach New York!« Mirac machte einen Luftsprung und brach in sein aufgekratztes, charakteristisches Lachen aus.
    Mit seiner Vision, Pirmasens den Rücken zu kehren, rannte er bei mir offene Türen ein, denn nichts wäre mir lieber gewesen, als diese Stadt mitsamt all den an ihr hängenden schlechten Erinnerungen hinter mir zu lassen. Ich war ein Brauner, Mirac ein Zigeuner, aber wir hatten denselben Traum – wir wollten hier weg.
    Ich hörte erneut wie Mirac »on« drückte, und der Akkuschrauber machte seine typischen Geräusche. Mirac hatte den Schrauber immer dabei, man wusste schließlich nie, wann sich die Gelegenheit für einen Raubzug bot. Jahre vergingen, und ich habe vieles vergessen, aber noch heute erinnere ich mich haargenau an das Gebrumme dieses Gerätes. Manchmal, so wie auch an diesem Tag, kam Mirac mitten in der Nacht und weckte mit dem Ding die gesamte Nachbarschaft auf, nur weil er die Idee hatte.
    Einmal war ein Zirkus in der Stadt, und Mirac hatte die Idee , wie wir endlich Millionäre werden könnten. Er wollte einen Zirkusaffen kidnappen, weil er davon überzeugt war, so ein Zirkusaffe könnte eine Menge Geld einbringen.
    »Wie zum Teufel soll man mit einem Zirkusaffen Geld verdienen?«, wollte ich wissen, doch Mirac sah mich an, als wäre ich ein Schwachkopf.
    »Das liegt doch auf der Hand. Affen sind schlau, besonders Zirkusaffen. Sie können klettern und würden für eine Banane ihre Seele verkaufen. Ich werde meinem Affen beibringen, durch die Fenster in Wohnungen einzubrechen, alten Frauen ihre Portemonnaies aus den Taschen zu ziehen – und in kürzester Zeit sind wir Millionäre, jahu!«
    »Du kannst doch nicht einfach in den Zirkus gehen und einen Affen klauen!«
    »Warum nicht? Dem wird’s bei mir besser gehen als bei den ganzen Zirkuszigeunern.«
    »Du bist doch selbst ein Zigeuner.«
    »Aber kein Zirkuszigeuner!«
    In der darauffolgenden Nacht machten wir uns mit der Absicht, einen Affen zu entführen, auf zum Zirkusgelände. Mirac öffnete mit seinem Akkuschrauber den Affenkäfig, während ich Wache hielt. Dann fasste er rein und packte einen kleinen Affen, in einer roten Weste und mit einem kleinen goldenen Hut, unter den Achseln. Doch so ein Affe ließ sich nicht einfach unter den Achseln packen und mitnehmen. Das Äffchen wehrte sich, kratzte Mirac und gab laute Geräusche von sich. Mirac, der auf so eine Reaktion vorbereitet war, legte ihm ein mitgebrachtes Halsband um und nahm ihn an die Leine. Dann zerrte er das aggressive Kerlchen aus dem Käfig. Der Zirkusaffe schrie und hielt sich an den Gitterstäben fest.
    »Hilf mir!«, rief Mirac, doch man sah nicht alle Tage einen kleinen Zigeunerjungen, der versuchte, einen Zirkusaffen, in Weste und Hut, zu

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