Massiv: Solange mein Herz schlägt
voller Ernst.
»Die Hölle?«
»Ja, was meinst du, ist sonst da unten?« Seine Pupillen waren geweitet wie Katzenaugen bei Nacht.
»Ich falle da doch auch nicht rein.« Ich versuchte ihn zu beruhigen.
»Du bist auch viel breiter als ich, kannst du mich vielleicht Huckepack nehmen?« Ich stieß einen unterdrückten Lacher aus und stellte mir vor, was das für ein Bild abgeben würde. Gleichzeitig machte es mich neugierig, so hatte ich ihn noch nie erlebt. Wie konnte eine kleine Pille einen erwachsenen Menschen derart verändern? Ich holte eine Kapsel aus der Tüte, und ohne weiter darüber nachzudenken steckte ich sie mir in den Mund. Zwanzig Minuten lang spürte ich gar keine Veränderung. Machmud bewegte sich nicht vom Fleck und redete wie ein Wasserfall von Himmel und Hölle. Dann setzte auch bei mir die Wirkung ein. Flimmernde, bunte, intensive, merkwürdige und aggressive Bilder wechselten sich in kurzen Abständen ab. Es war, als wäre ich in die Haut eines anderen geschlüpft, als wäre ich nicht mehr ich selbst. Das beängstigte und verstörte mich. Ein Baum neben uns, der mir vorher überhaupt nicht aufgefallen war, wirkte auf mich plötzlich furchtbar bedrohlich. Mein Herz raste wild, ich hatte das Gefühl, die Äste würden nach mir schnappen, und versuchte, ihnen auszuweichen. Da standen wir, voll drauf, Machmud gefangen in einem Quadrat und ich mit Ausweichmanövern beschäftigt. Ich wusste, das war nicht real, ein Baum war nicht in der Lage, mich wie ein Boxer zu verdreschen, doch ich war von diesem paranoiden Film komplett eingenommen.
Erst nach qualvollen Stunden klang das Gefühl der Angst allmählich ab. Für eine kurze Zeitspanne tauchte ich in eine fremde Welt ein. Das Gras war grüner, der Himmel blauer, die Sonne heller, die Atmosphäre friedlich, und ich empfand tatsächlich das Gefühl des Einklangs mit der Welt, von dem Machmud gesprochen hatte. Irgendwie schafften wir es nach Kirchberg, doch es war schon dunkel, und als ich auf die Uhr schaute, musste ich feststellen, dass fünf Stunden wie fünf Minuten vergangen waren. Es war das erste und letzte Mal, dass ich Drogen nahm. Einen Kunden zu verpassen war schlecht für das Geschäft, Angst vor einem Baum zu haben war schlecht für den Ruf, und ein Junkie zu werden schlecht fürs Image.
Am nächsten Tag fuhr ich mit der Absicht, mein Versprechen einzuhalten, zu Bella. Die Ampel wurde rot, und ich hielt auf einem Hügel neben einem Friedhof an. Ich hatte einen Tisch beim Italiener reserviert – dabei hatte ich gar keine Lust, mit Bella essen zu gehen. Aus diesem Grund gab ich ungerne Versprechen: Ich fühlte mich immer verpflichtet sie einzuhalten. Mein Handy klingelte. Ich ging ran, und Mirac war am anderen Ende. Seine Stimme zitterte.
»Sie haben Machmud mitgenommen – es sieht nicht gut für ihn aus.«
Mit so einer Hiobsbotschaft hatte ich nicht gerechnet. In diesem Moment kreisten meine Gedanken um meinen besten Freund, und ich merkte nicht, dass mein Auto, wie von Geisterhand geschoben, langsam nach vorne rollte. Als Nächstes spürte ich, wie etwas frontal in mich reinkrachte. Der Airbag ging auf, ich kippte mit dem Kopf nach vorne und wurde für einige Sekunden bewusstlos. Als ich aufwachte, fühlte ich mich benommen; der dichte Rauch um mich herum verschlechterte die Sicht. Ich schnallte mich ab und versuchte aus meinem Auto herauszukommen. Mit viel Mühe quetschte ich mich aus dem eingedrückten Sitz und tastete im Freien meinen Körper ab. Ich war anscheinend unverletzt, was man von meinem Wagen nicht behaupten konnte. Die Motorhaube hatte eine wellendachförmige Wölbung, das gesamte Auto hatte die Gestalt eines Akkordeons angenommen.
Als ich mich umdrehte, bot sich mir ein Bild der Verwüstung: Der Bus, der anscheinend in mich reingefahren war, lag auf der anderen Straßenseite. Der Bus lag auf der Straße, wie ein umgekippter Rollstuhlfahrer, die Räder drehten sich noch. Überall auf der Straße verteilt lagen Auto- und Busteile, ein Reifen rollte über den Boden, und als ich genau hinsah, musste ich feststellen, dass es mein Autoreifen war, der wie ein Heuballen in Richtung Friedhof rollte. Die Tür des Busses klappte auf und zu, verängstigte Rentner, die wahrscheinlich gerade auf dem Friedhof ihre toten Verwandten besucht hatten, klopften gegen die Busscheiben. Ich rief Isabella an.
»Ich glaube, ich schaff das heute nicht.« Eine ältere Dame mit grauen Haaren versuchte, aus einem eingeschlagenen Fenster
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