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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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gerne das Level einer philosophischen Runde erreicht hätten, aber nur an eine Gruppe Schulkinder, die an Klebstoff geschnüffelt hatten, herankamen. Ich fragte mich, ob Trägheit eine Krankheit war, denn plötzlich fühlte ich mich müde und war mir sicher, wenn ich noch länger hier bleiben würde, könnte ich mich schneller in einen kiffenden, auf der Couch lungernden Nachmittagsschläfer verwandeln, als mir lieb war. Sechs Stunden später musste ich einsehen, dass wir in kein Studio gehen und keinen Song aufnehmen würden. Enttäuscht machte ich mich auf den Rückweg.
    »Wir gehen morgen ins Studio. In Ordnung, Pudel?«
    »Pitbull.«
    »Hm … Pudel gefällt mir besser. Ist ein Kontrast zu deiner Person. Offensichtlich bist du eher ein Pitbull, aber von einem Pudel würde man nicht erwarten, dass er nachts über einen Friedhof läuft und Särge trägt.«
    »Auf gar keinen Fall.« Ich war sauer, denn alles, was ich bis jetzt getan hatte, war, mit einigen Stubenhockern belanglose Gespräche zu führen.
    »Ach, das können wir uns dann morgen überlegen.«
    »Kann ich morgen etwas früher kommen? Ich weiß nicht, was ich hier den ganzen Tag machen soll.«
    »Wann?«
    »Gegen zehn?«
    »Bist du bescheuert? Komm morgen um drei, dann stehe ich etwas früher auf.« Zwei Wochen später hatte ich immer noch kein Studio von innen gesehen, hing jeden Tag bis spät in der Nacht bei MC Basstard und irgendwelchen Jungs rum, von denen ich zwar nicht die Namen, aber dafür die Lebensgeschichten kannte. Obwohl ich weder kiffte noch trank, fühlte ich mich am Ende des Tages von der Haschischwolke so benebelt, dass ich anfing zu vergessen, wofür ich überhaupt nach Berlin gekommen war. Irgendwann siegte die Frustration, und ich rief MC Basstard an, um ihm mitzuteilen, ich würde zurück nach Hause fahren. Es hatte keinen Sinn, er war anscheinend nicht daran interessiert, mich anzuhören oder irgendetwas aufzunehmen. Ich verfluchte mich selbst und stellte mir schon vor, wie ich nach Hause gehen und meiner Familie erzählen würde, dass mein Masterplan für’n Arsch war.
    »Wohin willst du?« MC Basstard schien irritiert zu sein.
    »Nach Pirmasens.«
    »Was willst du da?«
    »Ich wohne da.«
    »Du bist gar nicht aus Berlin?«
    »Ist das gerade dein Ernst?«
    »Wo zum Teufel ist Pirmasens? Hört sich an wie ein Ort, an dem man Kanaken in Öfen schmort.« Er überredete mich, einen Tag länger zu bleiben. Ich willigte wieder ein. Ich hatte doch nichts zu verlieren, nicht einmal Zeit, denn Zeit war nur dann wertvoll, wenn man etwas mit ihr anzufangen wusste.
    Den Tag darauf wartete ich wie verabredet um zwölf Uhr direkt vor seinem Studio in Neukölln. Um zwölf war keiner da, um eins war keiner da, MC Basstards Telefon war aus, und auch um zwei war keiner da. Ich war so wütend, dass ich am liebsten in seine Wohnung gefahren wäre, um ihn an seinen dünnen Haaren aus dem Zimmer zu zerren und in den schlabbrigen Arsch zu treten. Stattdessen beschloss ich zu gehen. Es war Zeit aufzugeben.
    Anscheinend war ich dazu bestimmt, mein gesamtes Leben mit Aufgeben zu verbringen. Ich hatte meine kleinkriminelle Karriere für das gutbürgerliche Leben und das gutbürgerliche Leben für meinen Traum aufgegeben. Was machte es da schon, wenn ich meinen Traum aufgeben musste.
    Vielleicht könnte ich es mit einer Ausbildung als KFZ-Mechaniker versuchen. Immerhin mochte ich Autos, auch wenn es nicht mein Traumjob war. Aber wie viele Menschen übten schon ihren Traumjob aus? Die meisten wussten nicht einmal, worin er bestand. Eigentlich war diese ganze »Ich lebe meine Träume«-Nummer ein idiotischer Einfall. Träume sind nur Hoffnungsschimmer, die vom wahren Leben – der Realität – früher oder später ausgelöscht werden. Ich musste in den sauren Apfel beißen und wartete auf den Bus zurück zu Alis Wohnung; und dann würde es wieder zurück in meine Realität Pirmasens gehen. Aus irgendeinem Grund kam mir in diesem Augenblick eine Geschichte in den Sinn, die Mama mir vor Jahren über Baba erzählt hatte. Nachdem sich mein Vater jahrelang für den Hungerlohn vom Sozialjob abgerackert hatte, bekam er sein erstes anständiges Jobangebot in einer Eisengussfabrik im rund fünfzig Kilometer entfernten Landau.
    Nach dem ersten Arbeitstag zur Probe machten sich seine Kollegen auf den Nachhauseweg. Mein Vater hatte aber das Problem, dass er sich in Landau nicht auskannte und nicht so recht wusste, wie er zurück nach Hause kommen sollte. Und am

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