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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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nächsten Morgen musste er wieder um sieben Uhr zum Probearbeiten erscheinen. Auf gar keinen Fall wollte er riskieren, sich zu verfahren und am nächsten Tag zu spät zu kommen. Geld für ein Hotel hatte er nicht, also entschied er sich, in Landau zu bleiben und die Nacht auf einer Parkbank zu verbringen.
    Dasselbe machte er auch in der Nacht darauf. Am Morgen des dritten Tages kam ein Mann vorbei und warf meinem Vater eine Mark vor die Füße. Baba bückte sich, hob das Geldstück auf und warf es dem Mann an den Hinterkopf.
    »Ich bin kein Penner, du Blödmann! Ich arbeite in der Fabrik da vorne!«, schimpfte Baba.
    »Warum schlafen Sie dann auf einer Parkbank?«
    »Was für eine dumme Frage, ich will nicht zu spät kommen!«
    Am Ende des dritten Probetages wurden alle Bewerber zum Fabrikleiter gerufen. Mein Vater traute seinen Augen nicht, denn der Mann, den er noch am Morgen einen Blödmann genannt hatte, war der Leiter der Fabrik.
    »Sie sind dann wohl der Mann, der auf einer Parkbank schläft, um nicht zu spät zur Arbeit zu kommen?«, fragte er meinen Vater, und Baba nickte verlegen.
    »Herzlich willkommen, Herr Taha. Sie haben den Job!«
    Der Himmel war grau und bedeckt, ich hoffte, etwas Sonnenlicht würde sich zwischen den dunklen Wolken durchkämpfen. Ich konnte es mir nicht erklären, warum ich mich an diese Erzählung zurückerinnerte. Mein Vater war vielleicht ein Pessimist, der nicht an Träume glaubte und nie reich werden wollte, und doch war er bereit gewesen, für einen Job in der Eisengussfabrik drei Nächte auf einer Parkbank zu schlafen. Er kannte nicht einmal das deutsche Wort für das, was er machte, brauchte täglich drei Stunden für die Hin- und Rückfahrt und war trotzdem unterbezahlt. Für so einen Job hatte er drei Tage auf einer Parkbank geschlafen.
    Ich drehte mich um und ging zurück in Richtung Studio. Wenn auch nur die geringste Chance bestand, dass dieser Bastard irgendwann auftauchen würde, musste ich sie ergreifen. Andernfalls würde ich eines Tages genau auf diese Situation zurückblicken und bereuen, nicht länger gewartet zu haben – und nichts schmerzt mehr als eine verpasste Gelegenheit. Vier Stunden später traute ich meinen Augen kaum, als MC Basstard die Straße hochkam.
    »Ah, da ist ja unser Pudel, pünktlich wie mein Stuhlgang«, pfiff er vor sich hin und rückte seine schwarze Sonnenbrille zurecht. Ich sagte nichts, weil ich froh war, dass MC Basstard überhaupt gekommen war. Das Studio war erwartungsgemäß eng, einige offene Kabel, Mikrofone und Rekorder lagen auf dem Boden. Mehr als die Größe und der Zustand des Studios erschütterte mich, dass es auch da nach Pot, abgestandenen Zigaretten und ungelüfteten Räumen roch. War das ein neues Raumspray?
    »Und hast du was Schönes für mich geschrieben?«, fragte MC Basstard und nahm die Sonnenbrille ab. Zum Vorschein kamen rote hängende Lider, die auf Exzesse und Schlafstörungen hindeuteten.
    »Ja.« Ich kramte in meiner Hosentasche nach meinem Notizblock und schlug die Seiten auf, auf denen ich einige Songs niedergeschrieben hatte.
    »Wundertoll«, bemerkte MC Basstard.
    »Das heißt wundervoll.«
    »Bist du aber ein Linsenzähler.«
    »Erbsenzähler.«
    »Wenn du nicht so braun wärst, könntest du glatt als Deutscher durchgehen – das würde auch die krampfhafte Pünktlichkeit erklären«, meinte MC Basstard geringschätzig, als ob es eine Schandtat wäre, pünktlich zu sein.
    »Wie auch immer«, entgegnete ich und blätterte in meinem Block nach dem passenden Song. Gerade als ich in die Kabine wollte, die ein aus Sofas, Kissen und Matratzen abgetrennter Bereich war, hielt mich MC Basstard fest und stierte auf meinen Notizblock.
    »Du willst mir einen Song aus einem pinkfarbenen Poesiealbum präsentieren?«
    »Das ist kein Poesiealbum … ich … äh  … der gehört nicht mir.«
    »Das ist ein pinkfarbenes Poesiealbum und – sind das da Schmetterlinge?«
    »Es ist nicht so, wie es aussieht«, gab ich kleinlaut von mir.
    »Für mich sieht es aus, als würde ein klotziger, tätowierter Prollkanake, der aussieht, als könne er einen verdammten Sarg alleine tragen, heimlich süße Liebesgedichte in ein Poesiealbum schreiben«, machte sich MC Basstard über mich lustig.
    »Ist ja gut, kann ich jetzt anfangen?« Ich hatte nicht den ganzen Tag gewartet, um am Ende Spott zu ernten.
    »Du kannst gerne anfangen, aber nur, wenn es kein Song für Schwule über Schwule oder für kleine Mädchen über kleine

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