Matharis Kinder (German Edition)
Ein großer Mann in ausgebeulter Hose und blaugrauem Bauernhemd packte gerade die letzten Büschel über Janael fort. Pariko kletterte schwer fällig von der roh gezimmerten Ladefläche herunter.
Das fahle Licht des verschwindenden Tages umriss die Konturen eines einfachen Bauernhauses.
Endlich hatte Torian wieder festen Boden unter den Füssen! Ihm wurde schwindlig. Er stolperte. Zum Glück legte sich in diesem Augenblick ein energischer Arm um seine Hüfte und bewahrte ihn davor, der Länge nach auf dem Boden hinzuschlagen. Der Arm gehörte der kleinsten Frau, die Torian jemals gesehen hatte. Ihr Kopf passte exakt unter seine Achselhöhle. Mit festem Griff dirigierte die Frau ihn ins Haus. Schob ihn durch einen winzigen Flur in eine Stube, wo ein riesiger Ofen die Eintretenden willkommen hieß.
Auf die Schultern des Bauern gestützt, wankte hinter ihnen Pariko herein. Rasch schob die Frau einen Stuhl unter sein Gesäß. Gerade noch rechtzeitig, bevor der Wandler auf dem Boden landete. Der Tadel, mit dem die Frau die Unachtsamkeit ihres Mannes quittierte, hörte sich an wie eine Liebes erklärung. Breit grinsend schaute er seiner aus der Stube eilenden Gattin nach und folgte ihr. Zwei Minuten später kamen die Beiden zurück. Die Frau trug einem Stapel Decken und Kissen auf dem Arm. Der Mann den noch immer bewusstlosen Janael über der Schulter. Sorgsam betteten sie ihn auf die schmale Ofenbank.
Der alte Mann befand sich in keiner guten Verfassung. Sein Gesicht war kalkweiß, sein Atem ein rasselndes Röcheln. Besorgt beugte sich die Frau über ihn. Sanft strich sie ihm die schweißnassen Haare aus der Stirn, breitete mit energischer Bewegung die Decke über ihm aus und stopfte sie unter ihm fest.
Kurz darauf bekamen die beiden am Tisch sitzenden Gäste heißen Tee vorgesetzt. Einen angenehm herben Duft verströmend, dampfte das Gebräu in den geblümten Tassen. Bereits der erste Schluck beruhigte die noch immer schmerzende Kehle, brachte Klarheit in den benebelten Kopf. Der Geschmack erinnerte an den Abendtrunk der Brüder und Schwestern in den Bergen. Die Blumenhüter der Berge ...
Torian blinzelte. Ihm war klar geworden, was ihn an seinen Gastgebern verwirrt hatte. Die beiden waren keine Blumenhüter!
Warum um alles in der Welt hatten sich zwei der ‚Anderen’ um drei Kleine Leute gekümmert, sie sogar mit nach Hause genommen? Hatten sie damit nicht ihre Freiheit, womöglich sogar ihr Leben aufs Spiel gesetzt? Torian kramte in seinem Gehirn nach einer Erklärung. Er fand keine.
Die Frau hatte sich inzwischen an die gegenüberliegende Seite des Tisches gesetzt und sich ebenfalls von dem Tee eingeschenkt. Nun erwiderte sie Torians Blick mit freundlicher Neugier.
Ein Röcheln von der Ofenbank ließ sie gleich wieder aufspringen. Der alte Mann schien einen unruhigen Traum zu haben. Er drohte von der Bank herunter zu fallen. Geschwind holte die Frau ihre Tasse und setzte sich neben ihn, um auf ihn aufzupassen.
Mit verstohlener Neugier sah Torian sich um. Es war das erste Mal, dass er das Innere einer Behausung der ‚Anderen’ sah. Die senkrecht aufsteigenden Wände bedingten eine völlig andere Einrichtung, als die runden Wohnstätten der Blumenhüter. Hier schien alles nach einem seltsamen, viereckigen Prinzip ausgerichtet. Nicht nur die Wände bildeten ein Viereck. Auch die Möbel waren viereckig. Selbst an den Wänden hingen bebilderte Vierecke. Torian spürte, wie auch seine Gedanken irgendwie viereckig wurden. Sie waren ihm unheimlich, diese vielen Vierecke.
Schnell ließ er seinen Blick zu der Frau zurück wandern. Sie hielt Janaels Hand. Offenbar drang die Berührung durch die Fieberträume des alten Mannes. Sein Gesicht wurde ruhiger.
Die Bäuerin war jünger, als ihre ergrauten, in einen großen Knoten gewundenen Haare auf den ersten Blick vermuten ließen. Im schwachen Licht der kleinen Lampe zeichnete sich eine klare Stirn, eine etwas zu lang geratene Nase und hohe Wangenknochen. Der schmale, energiegeladene Körper war unter der weiten Kleidung mehr zu erahnen, als zu sehen. Über dem grob gewebten, braunen Rock trug sie eine blauweiß gestreifte Schürze. An den Füßen Holzpantinen.
Wo blieb der Mann so lange? Wie viel Zeit brauchte man eigentlich, um ein Pferd zu versorgen und einen Wagen wegzustellen?
Offenbar hatte der Bauer mehr als das getan. Als er in die Stube zurückkehrte, hielt er einen Sack in der Hand, in dem es zappelte und gackerte. Mit fragender Geste hielt er das
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