Matharis Kinder (German Edition)
sein Leben ab.
Moyna brach das Schweigen.
„Was ist los mit dir“, wandte sie sich an Pariko, „in deinem Kopf arbeitet es. Sieht aus, als ob dir die Gedanken gleich zu den Ohren heraus kommen. Dein Schweigen könnte man in Scheiben schneiden! Was bedrückt dich?“ Als sie keine Antwort erhielt, setzte sie nach: „Komm schon, sprich mit uns! Du glaubst doch nicht, dass du von meiner Suppe etwas abkriegst, wenn du nicht vorher den Mund aufmachst.“
Eine Drohung, die durchaus ernst gemeint war.
„Es … es ist wegen der Alten“, murmelte Pariko endlich ohne aufzusehen, „die Alte der Berge meine ich. Warum hat sie an mir gezweifelt? Was weiß sie denn von mir? Sie hat so getan, als ob man mir nicht vertrauen könnte ...“ Er verstummte.
Moyna konnte sich vorstellen, was die Meisterin der Bergbewohner zu Pariko gesagt hatte.
„Du musst das richtig verstehen“, erklärte sie ihrem Gast, „die Alte der Berge hat dich nicht gewarnt, weil sie an deiner guten Absicht oder an deiner Aufrichtigkeit gezweifelt hat. Doch sie wusste, dass du mit den Gefahren unseres Lebens nicht vertraut bist. In Lopunien haben wir Wandler eine große Verantwortung. Ohne uns gäbe es längst keine Blumenhüter mehr hier. Von dir hängt das Leben deiner Freunde ab.“ Sie lächelte. „Aber das weißt du ja bereits.“
Pariko hob den Kopf. Während Moynas Worten hatte sich sein Gesicht ein wenig entspannt. Nun breitete sich ein geradezu andächtiger Ausdruck darauf aus. Er blickte in die Runde. Seine Gedanken waren in sein Gesicht geschrieben: Ich werde euch ganz bestimmt nicht enttäuschen.
Janaels Zustand blieb unverändert. Er hatte hohes Fieber. Seine Brust bewegte sich in flachen, schnellen Atemzügen.
Am Tisch saßen die vier Blumenhüter und tauschten leise Fragen und Antworten aus.
Die Nacht hatte einen sanft rauschenden Regen mitgebracht. Das war gut, bedeutete Regen doch mehr Sicherheit für diejenigen, die zu dieser Stunde unterwegs waren.
Moynas Hühnersuppe war längst gegessen, der Topf und die Teller abgewaschen, die Gespräche verstummt. Angespannt lauschten die vier Menschen in die Dunkelheit hinaus. Außer dem Rauschen des Regens hörten sie nichts.
Wie Sandkörner in einem Stundenglas zerrann die Zeit.
Endlich ein Kratzen an der Tür! Alle sprangen auf.
Bevor der Bauer die Türe richtig geöffnet hatte, schlüpfte der triefend nasse Hund herein. Ihm folgte eine lange, dunkle Gestalt in fußlangem Umhang, aus dem das Wasser in Bächen auf den Boden rann. Unter der Umhüllung kam ein erstaunlich junger Mann zu Vorschein. Er trug die traditionelle Kleidung der Heiler, bestehend aus einer weiten, dunkelblauen Tunika und dazu passenden Hosen. Die rituell geflochtene Haarsträhne mit den drei Bändern über dem rechten Ohr bewies, dass er seine Lehrjahre bereits hinter sich hatte. Er musste seine Schulung bereits in sehr früher Jugend begonnen haben. Das war ungewöhnlich. Normalerweise wurde ein Blumenhüter erst zum Heiler ausgebildet, wenn er ein Handwerk erlernt und dieses einige Jahre ausgeübt hatte.
Ohne Umschweife kam der herbeigerufene Mann zur Sache. Er befahl, den Kranken auf den Tisch zu legen, um ihn besser untersuchen zu können. Pariko und der Bauer beeilten sich, seiner Anweisung zu folgen.
Nachdem der Heiler die Augenlider des Patienten gehoben hatte, legte er seine Hand an dessen Hals, um den Puls zu fühlen. Dann öffnete er Janaels Hemd...
Nichts hätte die Anwesenden auf das vorbereiten können, was unter dem verwaschenen Stoff zum Vorschein kam.
Die Brust des alten Mannes war von tiefen Narben gezeichnet.
Mit zitternden Fingern legte der Heiler den ver wüsteten Oberkörper bis zum Gürtel frei. Es gab keinen einzigen Flecken unversehrter Haut. Tiefe, weiß gezackte Furchen, rote Wülste. Zeugen von Qualen, für die es keine Worte gab.
In der Stube war kein Laut zu hören.
Moyna presste ihre Hand vor den Mund und suchte die Nähe ihres Mannes. Der drückte sie so fest an sich, dass es ihr bestimmt wehtat.
Pariko taumelte und tastete blind nach seinem Stuhl.
Torian erstickte beinahe an seinem Entsetzen.
Dies waren Spuren gezielter und mit fürchterlicher Präzision durchgeführter Grausamkeit. Die Narben zeigten eine blutgefrierende Regelmäßigkeit. Als hätte der kranke Geist eines Künstlers versucht, mit Messer und Feuer auf menschlicher Haut ein Bild zu malen. Wie konnte ein Mensch einem anderen Menschen so etwas antun!
Ein Stupsen in seinen Kniekehlen
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