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Matharis Kinder (German Edition)

Matharis Kinder (German Edition)

Titel: Matharis Kinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernadette Reichmuth
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der Bergbewohner: Seit längerer Zeit pflanzten sie nichts anderes an, als Mathari-Blumen!
    Ungläubig schüttelte der junge Peonier den Kopf.
    Warum um aller Welt taten sie das? So etwas machte doch keinen Sinn! Seiner Meinung nach hätte nicht einmal die Hälfte der heute geernteten Menge ausgereicht, um alle benachbarten Täler über Monate hinweg zu versorgen. Es war ein Widersinn, für den er beim besten Willen keinen Grund sehen konnte. 
    Nachdem seine durch die Grübelei abgelenkten Finger beinahe ein drittes Pflänzchen zerdrückt hatten, hielt er es nicht mehr hinter der hölzernen Wand aus. Er verließ seinen Arbeitsplatz und hielt Ausschau nach jemandem, den er fragen konnte.
    Der Junge, an den er sich schließlich wandte, sah auf, als er den Bruder aus fremdem Land neben sich bemerkte. Seine kleinen, knochigen Hände verharrten mitten in der Bewegung. Torians Kehle wurde eng, als er das von Hunger gezeichnete Gesicht sah. Auch dieses Kind hatte gestern zugesehen, wie er und seine beiden Gefährten das Brot und die Äpfel gegessen hatten.
    „Sag mal“, fragte er schließlich mit rauer Stimme, „warum pflanzt ihr hier nicht auch Sachen, die ihr essen könnt? Alle diese Blumen – wozu braucht ihr so viele?“
    Der Angesprochene sah ihn an, als hätte er soeben die dümmste Frage der Welt gestellt. Doch dann fiel ihm ein, dass der Peonier die Antwort tatsächlich nicht wissen konnte.
    „Es ist das Gift“, presste er schließlich mit beinahe tonloser Stimme hervor, „sie ... sie haben ein Gift gefunden, das alle Blumen vernichtet. Die sterben schon kurz nachdem sie gekeimt sind. Wir ... müssen immer wieder nachsäen ... alle paar Tage wieder ...“ Ein Hustenanfall beendete die Rede des Knaben. Nach Atem ringend wandte er sich ab.
    Erschüttert ging Torian an seinen Platz zurück.
    Das war die Antwort! Die lopunischen Blumenhüter hungerten, weil sie für nichts anderes mehr Zeit hatten, als für den Blumen-Dienst. Aller Platz und alle Kraft, die sie hatten, setz ten sie für diese Aufgabe ein. Wenn die Samen nur noch Zeit hatten, zu keimen, bedeutete dies, dass schon nach wenigen Tagen eine neue Aussaat notwendig war. Die ebenso dem Untergang geweiht war, wie die Vorhergegangene. So ging das weiter und weiter. Noch als sterbende Sämlinge vermochten die Mathari-Blumen die geheimnisvolle Kraft des Lebens an die Erde weiter zu geben.
    Torian erschauerte, als ihm die Tragweite dieser Erkenntnis bewusst wurde. Was für einen entsetzlich hohen Preis bezahlten seine lopunischen Brüder und Schwestern, um ihrer Bestimmung treu zu bleiben und ihre Aufgabe erfüllen zu können! Um die Fruchtbarkeit der lopunischen Erde zu bewahren, waren sie bereit ihr Leben zu opfern!
    Nach dem Sinn dieses Opfers zu fragen, fiel Torian nicht ein. Er war Blumenhüter mit jeder Faser seines Wesens, ein Diener der Erde. Nichts auf der Welt war größer oder wichtiger als Mathari, der Großen Mutter zu dienen.
     
    Es war bereits Nacht, als sie wieder zur Höhle zurückkehrten.
    Das Abendessen bestand aus einer dünnen Brühe und einem Tee, der in der Kehle brannte, aber in den Eingeweiden ein angenehmes Feuer entzündete. Das Gebräu vermochte sogar den bohrenden Hunger etwas zu besänftigen. Gleich nachdem sie ihre Schalen geleert hatten, zogen sich alle zu ihren Schlafplätzen zurück.
    Während des ganzen Abends wurde kein Wort gesprochen. Als wäre der Gebrauch der Stimme zu einem Luxus geworden, den sie sich nur noch ge statteten, wenn es notwendig war.
     
    In aller Stille brachen gegen Mitternacht vier Männer auf, um ihr geheimes Werk zu tun. Die drei Gäste aus Peona gingen mit ihnen.
    Alle trugen prall gefüllte Säcke und Taschen.
    Kurz nachdem sie das Tal erreicht hatten, trennten sich ihre Wege.
    Rasch drückten sie einander die Hand.
    Die Lopunier wankten davon, ohne sich noch einmal umzusehen.

     FÜNF
     
     
    S till setzten die drei Blumenhüter ihre Reise fort. Die gefüllten Taschen, um die sich ihr Gepäck bereichert hatte, waren nicht schwer zu tragen. Viel mehr wog das Unsichtbare, sich in die Seelen Einnistende: die Bilder der todkranken Brüder und Schwestern. Ihr verzweifeltes Bemühen, der geschundenen Heimat die Fruchtbarkeit zu erhalten.
    Wenig später erreichten die drei Reisenden die ersten Felder. 
    Das Gift überfiel sie wie aus einem Hinterhalt. Der Dunst glich einer glühenden Nadel, bohrte sich in die ahnungslosen Kehlen, fuhr wie flüssiges Feuer in die Lungen, den Magen, die

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