Matharis Kinder (German Edition)
ihrer Umhüllungen herumzukramen. Zum Vor schein kamen drei schneeweiße, leuchtende Federn.
Torians Herz tat einen ungläubigen Sprung.
Weißvogelfedern!
Kein Zweifel, das waren Weißvogelfedern!
Wie war das möglich? Wie um alles in der Welt kam diese gebrechliche Greisin zu Weißvogelfedern? Er hob den Kopf und begegnete ihrem Blick. Doch diesmal drangen ihre Augen nicht in seinen Geist. Im Gegenteil luden sie ihn ein, wie zwei offene Pforten. Torian durchschritt diese Pforten und trat ein; mit tiefer Ehrfurcht, jedoch ohne zu zögern.
Sie zeigte ihm ein Geheimnis, für das er keine Worte fand. Warum fiel ihm gerade jetzt sein Traum wieder ein? Hatte sie, die Alte, vor ungezählten Jahren womöglich etwas Ähnliches geträumt?
Torian wagte nicht, weiter zu gehen. Er riss sich von den wissenden Augen los und starrte auf seine Hand, in der sich eine leuchtend weiße Feder befand.
Die Alte hatte sich inzwischen Janael zugewandt. In seine Hand legte sie die größte der drei Federn. Dann umschlossen ihre knotigen Finger seine Hand fläche.
„Ich weiß, wer du bist, Bruder“, flüsterte sie kaum hörbar.
Nur Torian, der unmittelbar neben dem alten Mann kniete, verstand die Worte.
„Du bist Wege gegangen, die dich weit weg von uns geführt haben. Wir haben danach noch lange auf dich gewartet. – Nun bist du zurückgekehrt. Aber du hast es nicht getan, weil du es wolltest. Hat auch dein Herz Lopunien verlassen? Hat es in Peona eine neue Heimat gefunden?“
Janaels Augen schimmerten feucht und er erwiderte:
„Ich hatte keine andere Wahl, ehrwürdige Mutter. Damals nicht und auch dieses Mal nicht. Was meine Heimat betrifft: Peona und seine Menschen haben mich aufgenommen. Sie haben meinem Körper und auch meinem Geist Obdach gewährt und Ruhestätte angeboten. Dieses Land und seine Menschen sind mir lieb und teuer geworden. Ja, es gab Augenblicke, da glaubte ich wirklich, ich könnte dort neue Wurzeln treiben. Doch ich träume immer noch von Lopunien. Nicht von jenen Ereignissen, die mich zur Flucht zwangen. Das ist lange vorbei. Ich träume von Lopuniens Schönheit, von der Güte und der Tapferkeit meiner Brüder und Schwestern. Jede Nacht reist meine Seele zu euch. Nein, ehrwürdige Mutter mein Herz ist immer hier geblieben. Und es wird immer hier bleiben!“
Während Janaels Rede hatte die Alte seine Hand festgehalten.
Nun gab sie sie frei.
Sie tat dies mit einer Geste, die ihn selbst frei gab.
Über Janaels Wangen liefen Tränen.
Als Letzter kam Pariko an die Reihe. Mit der ihm eigenen Gleichgültigkeit hatte er die voraus gegangenen Szene beobachtet. Sein Gesicht war unbewegt geblieben, als die Alte die Weißvogelfedern hervor gekramt hatte. Auch jetzt zeigte seine Miene kaum mehr, als höfliches Interesse.
„Und du, Fremd er, sei auf der Hut“, begann sie alte Frau ohne Umschweife, „als Wandler bist du größeren Gefahren ausgesetzt, als du es dir in deiner Unerfahrenheit vorstellen kannst. Nur zu leicht gerät der unachtsam gesetzte Fuß in eine Schlinge, aus der es kein Entkommen gibt. Prüfe daher immer wieder dein Herz, und lass dich prüfen, damit du die Wege unterscheiden kannst.“
Pariko war unter den Worten der Alten zusammen gezuckt, als hätte sie ihn mit einer Peitsche geschlagen. Sein unbeteiligter Gesichtsausdruck brach ein wie eine aufgeschwemmte Lehmfassade.
„Was willst du damit sagen? W er gibt dir das Recht...“
Janaels Hand auf seinem Arm ließ ihn verstummen.
Die Alte der Berge schien mit ihren letzten Worten ihre Kräfte erschöpft zu haben.
Sie schloss die Augen und sagte nichts mehr.
Mit der Ernte war noch längst nicht die ganze Arbeit getan. Als Nächstes mussten Keimlinge pikiert und Setzlinge ausgepflanzt werden.
Torian war nicht so recht bei der Sache, während er hinter einem hölzernen Windschutz mit Töpfchen, Erde und jungen Pflänzchen hantierte. Das Bild der endlosen Felder, auf denen sich Reihe um Reihe kleiner, gelber Blumen erstreckten, ließ ihn nicht los. Immer wieder geisterte das Bild an seinen Augen vorbei, als wollte es ihn auf etwas aufmerksam machen ... irgendetwas stimmte da nicht ... wenn er nur herausfinden könnte, was es war.
Plötzlich wusste er es: es war nicht das, was er sah. Es war das, was er nicht sah!
Blumen hatte er gesehen in diesem berg beschützten kleinen Tal. Mathari-Blumen. Nichts als Mathari-Blumen. Weder Gemüse, noch Salat. Kein Getreide und keine Kartoffeln...
Das war die Erklärung für den Hunger
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