Matharis Kinder (German Edition)
brechen sah. Dieses Prickeln im Blut! Das berauschende Gefühl von Überlegenheit und Macht, als er seine beiden Gefangenen gefesselt hinter sich her schleppte! Wie lebendig, wie warm und hellwach war er da gewesen! Dann dieses flüchtig durch sein Bewusstsein huschende Gefühl des Bedauerns, als die Maskerade beendet war … Warum – oh ihr Geister des Himmels und der Hölle! – warum hatte er es nicht früher erkannt?
Pariko ballte die Fäuste, bis seine Knöchel weiß hervor traten.
In der Bauernstube war nur das Hecheln des Hundes zu hören.
Moyna und Barnar schwiegen. Nur zu gut wussten sie, was in ihrem Gast gerade vorging. Dieser Augenblick des Erkennens blieb keinem Wandler erspart.
Erstaunlich war höchstens, dass der Peonier das Geheimnis erst jetzt zu entdecken schien. Aber in seiner friedlichen Heimat hatte er sich wohl nie so tief in seine Seelenabgründe hinab wagen müssen.
Überall in der Welt begegnete man den Wandlern mit Unbehagen. Auch in Lopunien war das nicht anders. Doch hier wurden sie schon als kleine Kinder geschult und für ihre spätere Aufgabe vorbereitet. Jenen, die die Fähigkeit besaßen, in die Rolle eines Königstreuen zu schlüpfen, galt die besondere Sorgfalt eines Lehrers. In der Geschichte der Finsteren Zeit hatte es immer wieder Wandler gegeben, der den Weg zurück zu ihrem wahren Wesen nicht mehr gefunden hatten und zu Verrätern geworden waren.
Weder Moyna, noch Barnar konnten Pariko helfen. Sie konnten nichts anderes tun, als zu warten, bis er seiner Erschütterung Herr geworden war.
Jemand anderes wartete nicht. Als einziges Wesen in diesem Raum wusste er, was zu tun war. Er brauchte keine Worte, denn seine Sprache war eine andere. Er musste auch nicht denken, weil er einfach nur fühlte. Er stand auf, schüttelte ab, was er nicht verstand und tat, war nur er tun konnte.
Eine Hundeschnauze an Parikos Ellbogen durch brach die Erstarrung des Wandlers. Leise winselnd blickte das große Tier, das ihn noch vor wenigen Minuten ohne zu zögern getötet hätte, zu ihm auf.
Endlich löste sich der schwarz gefrorene Knoten in Parikos Inneren. Er ließ seinen Kopf auf die Arme sinken und begann hemmungslos zu weinen.
Nach einer Weile legte sich eine Hand auf seine Schulter.
Es war Janaels Hand.
Niemand wusste, wann der alte Mann aufgewacht war. Wahrscheinlich hatte ihn der Hund geweckt, als dieser seine Menschin verteidigt hatte.
Pariko hob den Kopf.
Das Gesicht des Alten war das Letzte, was er sehen wollte. Doch dieser Hand auf seiner Schulter, die sich schmerzhaft und mit überraschender Kraft in seine Muskeln grub, konnte er nicht entfliehen. Er hatte auch nicht das Recht dazu. Nicht bei diesem Mann.
Ohne Pariko loszulassen griff Janael nach einem Stuhl und setzte sich neben seinen Gefährten.
„Höre mir gut zu, mein Freund.“ Unter dem letzten Wort zuckte der Wandler zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Ruhig fuhr der alte Mann fort: „Nun hast du erfahren, was du erfahren musstest. Sei froh, dass es jetzt und mit der Hilfe dieser beiden wunderbaren Menschen geschehen ist. Unsere Reise ist noch lange nicht zu Ende. Mit deiner Hilfe sind wir bis hierhergekommen. Wir brauchen dich weiterhin, um wieder nach Peona zu kommen. Das weißt du. Wir alle wissen es.“
Pariko hielt den Kopf gesenkt, als studierte er mit höchster Konzentration die Maserung der Tischplatte.
„Glaube nicht, dass ich dein Geheimnis nicht erkannt habe“, sprach Janael weiter, „ich habe es gesehen – in deinen Augen. Es war derselbe Blick, der vor dreißig Jahren in den Augen jener flackerte, die mich gefoltert haben. Er ist nichts anderes als der Triumph der Erbärmlichkeit. Wer nie gelernt hat, den Schmerz seiner eigenen Ohnmacht zu ertragen, wird leicht ein Opfer derer sein, die diesen Schmerz kennen und ihn missbrauchen. Sie bieten einem Ohnmächtigen die Gelegenheit, sich für seine Ohnmacht an jenen zu rächen, die ihm ausgeliefert sind.“
Wieder ließ Janael eine Zeitspanne verstreichen. Als er seine Rede fortsetzte, blickten seine Augen zurück in die Vergangenheit.
„Damals in jener Nacht – ich tauchte gerade wieder aus einer Ohnmacht auf – habe ich ihre Seelen schreien hören. Das waren Töne, für die es keine Beschreibung gibt. So voll Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Für einen Augenblick vergaß ich sogar meine eigenen Schmerzen.“
Die nächste Pause wurde noch länger. Was nun folgte, waren die wichtigen, die alles entscheidenden Worte. Nur
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