Matharis Kinder (German Edition)
Blick.
Von da an begleitete ein düsteres Schweigen die drei Reisenden. Wie ein Geist ging es zwischen ihnen. Für den Rest des Tages wich es nicht mehr von ihrer Seite. Erst als sie kurz vor Einbruch der Nacht den Fuß einer langen, sich im Zwielicht der Dämmerung ver lierenden Hügelkette erreichten, wurden die nächsten Worte gesprochen.
Janael hielt an und hob die Hand.
„Wir rasten heute etwas früher als gewohnt“, erklärte er, „morgen haben wir das gefährlichste Wegstück vor uns. Nicht das Schwierigste, auch nicht das Anstrengendste. Aber das Gefährlichste. Da muss der Körper ebenso ausgeruht sein wie der Geist.“
Weitere Erklärungen gab er nicht.
Das Schweigen blieb. Es setzte sich zu den drei Menschen ans Feuer, sah ihnen beim Essen zu. Geisterte, nachdem sie sich zur Ruhe gelegt hatten, durch ihre Träume, wo es zu sprechen begann. Mit schwarz aufgerissenem Mund. In Worten, die keiner verstand.
Fröstelnd schlug Torian die Augen auf. Es war kurz vor Tagesanbruch, die kälteste Stunde einer Nacht. Bald würde das Licht zurückkehren und Klarheit seine Gedanken bringen. Er hoffte es zumindest.
Janael rätselhafte Andeutung über den nächsten Abschnitt hatten den jungen Blumenhüter unzählige Male aus seinem Schlaf aufgeschreckt. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was noch gefährlicher als die Überquerung eines als unpassierbar geltenden Gebirges sein sollte.
Torian spürte, dass auch Janael bereits wach war. Gleich würde die Reise weitergehen. Gut so. Je früher sie aufbrachen, desto schneller waren sie wieder zu Hause.
Auf dem Kamm der Hügelkette verschlug es Torian den Atem.
Vor seinen Augen tauchte das eindrucksvollste Gebirgsmassiv auf, das er je gesehen hatte.
Gläsern schimmerten zerklüftete Hänge. Auf ausgedehnten Schneefeldern erhoben sich die dunklen Schatten senkrecht abfallender Felswände. Schneegekrönte Gipfel – die mächtigen, in Eismäntel gehüllte Hüter dieser Berge – ragten vor dem schmalen, vom neuen Licht träumenden Silbersaum des Himmels auf.
Erst jetzt erkannte der junge Blumenhüter wie begründet das Ansinnen seines alten Gefährten ge wesen war. Diese Ehrfurcht gebietenden, in grandioser Gleichgültigkeit auf die Menschenwelt herab blickenden Riesen machten es unmöglich, etwas anderes als die Wahrheit zu sehen. Torians Kehle zog sich schmerzhaft zusammen. Schnell nahm er seine Augen von den Bergen fort und blickte nach unten.
Was er dort sah, oder vielmehr nicht sah, ließ ihn augenblicklich alle Berge der Welt vergessen. Ihm wurde schwindlig.
Der Hang zu seinen Füßen fiel steil ab und mündete in einem tief unter ihm liegenden Nebelmeer.
Es war eine albtraumhafte Verzerrung jenes Anblicks, der sich einem Bergwanderer auftut, nach dem er die wolkenverhangenen Niederungen hinter sich gelassen hat. Das Gefühl, alle Schwere und Last im Nebel zurückgelassen zu haben und dem Himmel ein Stück näher gekommen zu sein, verkehrte sich hier in ein namenloses Schaudern. Jeder, der da hinuntersah, bekam den unbezwingbaren Eindruck, in einen brodelnden Dämonenkessel zu blicken. Und sie mussten da hinunter!
„Ja, mein Junge“, hörte Torian Janaels Stimme neben sich, „unter dieser Nebeldecke liegen sie, die Sambalko-Sumpf wälder. Man sagt, eine Landschaft wie diese existiere nirgendwo sonst auf der Erde. Und ihre Pflanzen und Tiere gäbe es auch nur hier. Ihr werdet da unten nichts Vertrautes finden.“
Der alte Mann spürte die Verwunderung seiner Gefährten.
„Es hat keinen Sinn, von Dingen zu erzählen, die ihr euch nicht vorstellen könnt“, fuhr er fort. „ich versichere euch jedoch, dass ich mich da unten genau auskenne. Trotz aller Gefahren gehören die Sambalko-Sumpfwälder seit Jahrzehnten zu den sichersten Zufluchtsstätten der lopunischen Blumenhüter. Kein Königstreuer hat es bisher gewagt, in dieses Gebiet einzudringen.“
In Torians Gehirn blinkte eine einzige Frage auf: Was um alles Welt lauerte in dieser undurchdringlichen Suppe, dass sich nicht einmal die kampferprobten Truppen des Königs hineinwagten? Es blieb ihm keine Zeit, sich auf die Suche nach einer Antwort zu machen.
Janael schloss seine Erklärungen mit einer ebenso eindringlichen, wie beunruhigenden Anweisung:
„Sobald ihr ebenen Boden erreicht habt, bleibt ihr stehen. Rührt euch nicht von der Stelle, bis ich bei euch bin! Ihr müsst dem Weg, den ich vorausgehe, zentimetergenau folgen. Vergesst das auf
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