Matharis Kinder (German Edition)
geschmiegt, den frierenden, noch immer klatschnassen Wandler in ihrer Mitte, erwarteten die drei Blumenhüter den Tagesanbruch in dieser fremden, zeitverlorenen Welt.
Torian starrte in die Dunkelheit. Schwarz auf ragende Schatten umringten die kleine Zuflucht auf dem Wurzelwerk ihres fremdartigen Gastgebers. Diese Stille! Diese nervenzerreißende, jeden vernünftigen Gedanken auffressende Stille! Wo waren die Jäger der Nacht? Lauerten sie vielleicht schon zwischen den Schatten?
„Du tätest gut daran, ein wenig zu schlafen, Junge.“
Torians Herz tat einen entsetzten Sprung. Dann erkannte er, dass die Stimme eine menschliche war.
Janael wusste um die Ängste seines jungen Gefährten. Leise fuhr er fort: „Sei unbesorgt, mein junger Freund. Alles, was sich in den Sambalko-Wäldern bewegt, schläft jetzt. Du kannst es mir wirklich glauben: In diesem Augenblick gibt es für uns in ganz Lopunien keinen sichereren Ort, als dieser Fleck, auf dem wir gerade sitzen.“
Wenige Augenblicke war der alte Lopunier ein geschlafen.
Janaels Worte hatten Torians Ängste ein wenig ge mildert, doch seine überreizten Nerven nicht beruhigen können.
Der junge Blumenhüter legte den Kopf in den Nacken, ließ seinen Blick in die lichte Baumkrone über sich gleiten. In den Kammern seiner Er innerungen begann es zu flüstern. Eine tröstlich vertraute Stimme wehte in sein Bewusstsein:
Sieh hinauf, mein Sohn. Seit Anbeginn der Zeit wachen sie da oben über uns. Jetzt suche dir einen aus. Er soll dich für den Rest deiner Kindheit behüten, nun, da wir es nicht mehr können. Jedes Mal, wenn du den Blick zu ihm erhebst, wirst du wissen, dass auch wir in den Himmel sehen. Bei diesem Licht werden sich unsere Seelen treffen. Auch wenn wir dich jetzt verlassen müssen, unsere Liebe bleibt bei dir. In jedem Augenblick, mit jedem Atemzug, bei jedem Schlag unserer Herzen, für immer und immer.
Ein Echo aus einer fernen Zeit. Aus einer fernen Welt. Die St
imme seines Vaters.
Es war nicht anzunehmen, d ass es sich bei dem kleinen, durch eine schwarz umfiederte Lücke blinkenden Licht tatsächlich um Torians Stern handelte. Doch er leuchtete über diesem von allen Göttern verlassenen Land, zusammen mit seinen tausend und abertausend Geschwistern. Leuchtete über einem jungen Blumenhüter, der sich frierend an den rauen Stamm eines urzeitlichen Baumes drückte.
Am nächsten Morgen war der Nebel wieder da.
Janaels erste Sorge galt Pariko. Der Wandler zeigte alle Anzeichen einer ernsten Erkrankung. Er hatte hohes Fieber, kam ohne Hilfe kaum auf die Füße. Mit zitternden Knien hielt er sich auf den Beinen, während Janael ihn mit dem Seil zwischen sich und Torian sicherte.
Die Sambalko-Sumpf-Wälder waren wirklich eine außergewöhnliche Landschaft. Ein viele Kilometer breiter, halbmondförmiger Graben, tief wie eine nie verheilte Wunde. Als ob die Klaue eines in heilloser Wut entbrannten Gottes vor Urzeiten den noch jungen Erdmantel auseinandergerissen hätte.
Viele Lebewesen waren gekommen und wieder gegangen im Laufe der Zeit. Aus Kleinen wurden Große. Manche starben aus, andere konnten sich behaupten, indem sie Gestalt und Wesen veränderten.
Im Kessel der Sambalko-Sumpf-Wälder jedoch war die Uhr der Erdzeitalter für alle Ewigkeit stehen geblieben. Eine unsichere, dünne Hülle bedeckte den unter dem Meeresspiegel liegenden Grund. Ein löchriges Stück Stoff im sonst so reichen und üppigen Gewand der Großen Mutter. Unzählige kleinere und größere Moorseen und Schlammlöcher durchzogen dieses Gebiet, heimtückisch, unberechenbar, tödlich für jeden Unkundigen.
Nicht auf allen Seiten war der Kessel von einer Wand umschlossen. Auf der dem Gebirge zugewandten Seite stieg das Gelände sanft an. Der Boden wurde trockener, die Sicheren Pfade breiter.
Schließlich lichtete sich der Nebel.
Die Bäume hatten wieder eine vertraute Gestalt.
Torian weinte beinahe über dem Anblick einer ganz und gar gewöhnlichen Tanne. Vor Dankbarkeit überquellend folgte sein Blick den Insekten. Er konnte sich nicht sattsehen an diesen winzigen, in den Sonnenstrahlen wie Juwelen aufblinkenden Flügeln.
Nun galt es, einen Platz zu finden, wo Pariko von seinen nassen Kleidern befreit und diese getrocknet werden konnten. Der Zustand des Wandlers hatte sich in den vergangenen Stunden weiter verschlechtert. Er konnte kaum noch stehen. Trotz beidseitiger Unter stützung seiner Gefährten strauchelte und stolperte er bei jedem Schritt.
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