Mauer, Jeans und Prager Frühling
meiner heimischen Zwickauer Schule, von unterschiedlicher Güte. Fritz Dorn machte einen interessanten Literaturunterricht, und Rolf Piech war ein kritischer Geist, der wohl unter den treuen Genossen im Kollegium immer mal aneckte. Er erzählte begeistert von der politischen Geographie unserer Welt und ärgerte sich, wenn die Mädels dabei unter der Bank strickten oder häkelten und nicht wußten, was auf unserem Erdball gerade geschah. Er freute sich sichtbar, daß er mit mir einen politisch interessierten jungen Menschen vor sich hatte.
Wenn es wärmer wurde, hielten wir uns in den Pausen gern im Garten auf, und die beiden, von uns sehr gemochten Lehrer »Madame« Jäckel (Französisch und Englisch) und Herr Franck (Kunstwissenschaft) lustwandelten, im eifrigen Gespräch vertieft, über die Wege, als hätten sie schon immer in diese Gründerzeit-Villa gehört. Hellmut Franck gab einige Zeit später ein Buch über Jugendstil-Exlibris heraus, was diesen Eindruck unterstrich. Erinnerlich ist mir auch ein Gastvortrag von Rolf Recknagel. Er beschäftigte sich leidenschaftlich mit Forschungen zu dem geheimnisumwitterten B. Traven. Ohne vor Ort recherchieren zu können, trug er Fakten zusammen und veröffentlichte eine Biographie über den Autor, die in mehreren Auflagen gedruckt wurde.
Der größere Teil meiner Klasse bestand aus Studentinnen, wir waren nur drei Studenten. Alle wohnten wir zur Untermiete, meist bei einer Wirtin, weil bekanntlich viele Frauen ihre Männer überleben. In einem Krieg erst recht. Nur mein Freund Peter »Pepe« Laube hatte einen Wirt. Ich war der einzige, der sich mit Fromund »Fritze« Hoy ein Zimmer teilen mußte, und kann mir bis heute nicht erklären, warum ich das so hinnahm, warum ich in den drei Jahren nicht versuchte, mir ein eigenes Zimmer zu besorgen? »Man« hatte für mich so entschieden, und ich begehrtenicht dagegen auf, obwohl ich natürlich auch lieber alleine gewohnt hätte. Allerdings kann ich mich kaum erinnern, am Tag länger als eine Stunde dort gewesen zu sein – vom Schlafen einmal abgesehen. Ich war fast nur »in der Stadt«. Das Zimmer war in den Ausmaßen mehr als bescheiden und eigentlich wirklich nur einem Menschen zuzumuten. Trotzdem war Platz für zwei Betten, einen Tisch, zwei Stühle. Kam Besuch, setzte sich einer von uns auf sein Bett.
Den Ofen heizte winters Frau Müller, unsere Wirtin. Ich bezahlte im Monat 28 Mark, drei Mark für die Bettwäsche. Eine funzlige Glühbirne, ich schätze 25 Watt, war abendlichem Arbeiten nicht förderlich. Man hätte sich nur die Augen verdorben, also ließ ich es lieber gleich sein. Ich kann mich auch kaum erinnern, jemals zu Hause gearbeitet zu haben. Schließlich hießen die gestellten Aufgaben doch Schularbeiten, deshalb erledigten wir das meiste bereits in der Schule während des Unterrichts.
Damenbesuch war aus zweierlei Gründen nicht drin. Einmal wegen Frau Müller und zum anderen wegen Herrn Hoy. So tauchte nur ab und an mein Freund Pepe auf, der in der Nähe wohnte. Wir improvisierten dann auch gleich mal bei Tage ein Fest. Natürlich immer mit entsprechendem Genuß von Bier, Wermut oder Aperitif. Und Schmalzfleisch aus der BRD. Auf den messingfarbenen Blechdosen klebte zwar kein Etikett, das über den Hersteller Auskunft gegeben hätte, aber es war längst durchgesickert, daß diese Dosen aus Beständen der Bundeswehr stammten. Sie wurden wohl jeweils kurz vor Ablauf des Verfallsdatums in die DDR geliefert: Kraft durch Kraftfleisch vom Klassenfeind.
Nur der Frieden, der durch das militärische Gleichgewicht der beiden verfeindeten Lager herrschte, brachte uns in den Genuß dieser Reserve für den Ernstfall.
Mein Zimmergenosse Fritze verfügte generell über ein gut sortiertes Konservenangebot. Wenn der Appetit Pepe und mich besonders quälte und Fritze gerade durch die Antiquariate der Stadt bummelte, haben wir ihm, und daskann er, nachdem die Verjährungsfrist längst abgelaufen ist, ruhig erfahren, auch mal eine Büchse ungarischer wohlschmeckender Gänseleberpastete geklaut.
Irgendwann bekamen wir einen Studientag. Also, uns ging es wirklich gut. Ich las ja sowieso in jeder freien Minute, und nun stand uns sogar ein ganzer Tag dafür zur Verfügung.
Pepe und ich durchstreiften gern die Museen, Galerien, saßen in der Bibliothek der Hochschule für Grafik und Buchkunst oder in der »DeeBee«, wie wir die Deutsche Bücherei nannten.
Pepe hatte 1959 das Abitur an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät ablegen
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