Mauer, Jeans und Prager Frühling
Wiederaufbau der Universitätskirche einsetzt …
Die alte Universität
Nicht lange nach der Sprengung der Universitätskirche fielen auch die angrenzenden Universitätsgebäude. An der Stelle des Paulinerklosters war seinerzeit das sogenannte Augusteum nach Plänen von Schinkel und Geutebrück entstanden. Dieses Gebäude war zum Teil zerstört, die Fassade von Arwed Roßbach allerdings sehr gut erhalten, sie stand auf der zentralen Denkmalsliste.
Wie oft habe ich am Hauptgebäude der Universität die Lettern UNIVERSITAS LITTERARUM LIPSIENSIS gelesen, den Giebel im Stil der Antike mit reichem Figurenschmuck von Ernst Rietschel betrachtet?
»AUGUSTEUM « stand über den drei Eingängen. Seit den Bombenangriffen im Dezember 1943 waren es Eingänge ins Nichts. Die Fenster im Erdgeschoß waren zugemauert. Hinter der klassizistischen Fassade das nazistische Erbe – Trümmer, aber auch viel Substanz.
Wenn ich auf die Straßenbahn wartete, die damals noch durch die Schillerstraße fuhr, besah ich mir die vier Damen am Hauptportal mit ihren langen, fließenden Gewändern und üppigen Brüsten. Sie schauten alle ernst drein wie unsere Germania. Figuren in Deutschland lächeln nicht. Viel später las ich, daß man solche würdigen Frauen Karyatiden nennt.
In Erinnerung ihrer Oberweite fiel mir dazu »Karyatitten« ein. Aber das ist schon wieder so ein Berufsschaden aus einem langen Kabarettistenleben …
Einen besonderen Kontrast zu den klassischen Schönen, die an dieser Fassade eine heile Welt vorgaukelten, bildeten Transparente an ihrer Seite, die ebenfalls mit einer heilen Welt operierten: »Alle Kraft für …« und »Vorwärts zum …«. So gesellte sich zur Antike der Kommunismus, der nun dieMenschheit ins ewige Glück führen wollte. Allein Wind und Wetter nagten immer wieder an manchem Spruchband, Symbol für die Vergänglichkeit menschlichen Tuns, und so wechselten die Parolen an der Ruine mit den Jahreszeiten. Der Leninismus war zwar der Marxismus unserer Epoche – aber eben nur einen Sommer lang. Danach hieß es, der Marxismus-Leninismus sei allmächtig, weil er wahr wäre. Ein Stückchen daneben, in der Unikirche, wurde allerdings ein anderer als allmächtig verehrt, und das gefiel wiederum den Priestern der neuen Religion nicht. Die Kirche mußte weichen, wie wir wissen.
Obwohl 1959 das Politbüro den Wiederaufbau des Augusteums beschlossen hatte, kam es nicht dazu. Kräfte in der Universität und der Partei beharrten auf einem Neubau. Katrin Löffler zitiert in ihrem Buch »Die Zerstörung« auch aus einem Brief vom 27. April 1963, den Rektor Georg Mayer an den Leipziger Oberbürgermeister schrieb. Und da gibt es leider keinen Grund, den allseits beliebten »Mayer-Schorsch« in Sachen Universität zu loben. Die »einhellige Meinung des Senats« läßt uns schnell Böses ahnen: »… daß es richtig ist, die Altbausubstanz zu beseitigen und im Bereich Westseite, Karl-Marx-Platz-Universitätsstraße, einen Neubau zu errichten«. Der trinkfeste, lebensfrohe »Mayer-Schorsch«, der einem das Gefühl vermittelte, er hinge an Traditionen – bei der alten Uni war es damit leider vorbei …
Dabei wurden ja eine Reihe Räumlichkeiten des Albertinums noch für den Lehrbetrieb genutzt. Dieses Gebäude mit der angrenzenden Kirche war der letzte übriggebliebene Teil zum Universitätshof hin, der seit den Bombennächten kein Innenhof mehr war. Das Bornerianum und das Paulinum, jene Flügel zur Grimmaischen Straße und zur Universitätsstraße hin, hatte der Krieg zerstört. Das Denkmal für Gottfried Wilhelm Leibniz stand noch am alten Platz, auf den Treppen sonnten sich die Studenten, ein beliebter Treffpunkt.
Legendär ist der Hörsaal 40, immer überfüllt, wenn Professorenwie Mayer oder Bloch ihre Vorlesungen hielten. Günter Lohse erinnert sich an folgende Begebenheit aus Leipziger Studententagen: »Eines Tages war Karl Marx an der Reihe. Das mußte sich in der Stadt Leipzig herumgesprochen haben, denn hohe Funktionäre kamen mit steinernen Gesichtern und nahmen in den ersten Sitzreihen Platz. Ernst Bloch kam herein und sagte mit gedämpfter Stimme, wörtlich: ›Meine Damen und Herren, wir sprechen heute über Karl Marx. Der Marxismus ist schön, aber bei uns ist er leider Idioten in die Hände gefallen!‹ Ich schwöre, daß er das gesagt hat. Es muß um 1955 gewesen sein, als noch der ›Pförtner der Oper‹ in zyklopischer Steifheit auf dem Karl-Marx-Platz stand.«
Wer versah dort seinen Dienst als
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