Maxwell 02 - Nur du kannst sie verstehen
auch eine Stimme«, sagte Johnny. »Ich habe lange darüber nachgedacht. Es hat was mit Tradition zu tun. Und sie sind zwanzigmal mehr als wir.«
Es wurde still im Saal. Fast so still wie in der unbesuchten Vorstellung im Kinosaal K.
Dann fing Mr. Atterbury an zu klatschen. Jemand anders schloß sich an – Johnny sah, daß es die Schwester vom Altenpflegeheim Sonnenblick war. Bald klatschten alle, höflich, aber bestimmt.
Mr. Atterbury erhob sich wieder.
»Mr. Atterbury, bitte setzen Sie sich«, sagte die Vorsitzende, »
ich
leite diese Veranstaltung, falls Sie das vergessen haben sollten.«
»Ich fürchte, das ist nicht der Fall«, sagte Mr. Atterbury. »Ich stehe auf, und ich werde etwas sagen. Der Junge hat recht. Es ist schon zu viel weggenommen worden. Sie haben die High Street umgekrempelt. Es gab dort einmal eine ganze Reihe kleiner Geschäfte. Menschen haben dort gewohnt. Jetzt gibt es nur noch Unterführungen und Leuchtreklamen, und nachts haben die Leute dort Angst. Angst vor der Stadt, in der sie leben! An Ihrer Stelle würde ich mich schämen. Früher hatten wir ein Wappenschild am Rathaus. Jetzt ist da so ein Plastik-Logo. Und Sie haben uns die alten Schrebergärten genommen und das Neil-Armstrong-Einkaufszentrum gebaut, und all die kleinen Läden mußten schließen. Und dabei waren die Schrebergärten so schön!«
»Sie waren völlig verwildert!«
»O ja. Wunderschön verwildert. Selbstgebaute Gewächshäuser aus zusammengenagelten alten Fensterrahmen. Alte Männer, die auf ihren alten Stühlen vor ihren Hütten saßen. Gemüse und Hunde und Kinder überall. Ich weiß nicht, wo all diese Leute jetzt sind, wissen Sie es? Und dann haben Sie lauter Häuser abgerissen und den großen Wohnblock hingesetzt, in dem niemand leben will, und haben ihn nach einem Gangster benannt.«
»Damals habe ich noch gar nicht hier gewohnt«, sagte die Vorsitzende. »Und außerdem sind sich längst alle einig, daß der Joshua-N’Clement-Block eine…
unangebrachte
Idee war.«
»Eine schlechte Idee, meinen Sie.«
»Ja, wenn Sie es unbedingt so bezeichnen wollen.«
»Sie geben also zu, daß auch Fehler passieren?«
»Trotzdem ist es eine Tatsache, daß wir für die Zukunft bauen müssen –«
»Ich bin sehr froh, daß Sie das sagen, Frau Vorsitzende, denn dann sind Sie sicher ebenso wie ich der Meinung, daß die erfolgreichsten Gebäude sehr tiefe Fundamente brauchen.«
Wieder ertönte Applaus. Die Leute auf dem Podium sahen sich an.
»Ich glaube, ich habe keine andere Wahl, als die Versammlung zu schließen«, erklärte die Vorsitzende steif. »Das hier sollte eine Informationsveranstaltung sein.«
»Ich denke, das war sie auch«, sagte Mr. Atterbury.
»Aber Sie können die Versammlung nicht einfach schließen«, warf Johnny ein.
»Und ob ich das kann!«
»Das können Sie nicht!« sagte Johnny, »weil das hier ein öffentlicher Saal ist, und wir sind die Öffentlichkeit, und niemand hat etwas Verbotenes getan.«
»Dann gehen wir, und die Versammlung wird keinen Sinn mehr haben!« sagte die Vorsitzende. Sie packte ihre Akten zusammen und stakste über die Bühne, die Stufen hinunter und durch den Saal. Die übrigen, die auf dem Podium saßen, warfen den Zuhörern ein paar hilflose Blicke zu und folgten ihr.
Sie ging auf die Tür zu.
Johnny sprach ein stummes Gebet.
Irgend jemand, irgendwo, erhörte es.
Sie drückte, wo sie hätte ziehen sollen. Das Rütteln war das einzige Geräusch, und es wurde heftig, als sie die Geduld verlor. Schließlich zog einer der Männer der Vereinigten Holding am Griff, und die Tür sprang auf.
Johnny riskierte einen Blick nach hinten. Er konnte niemanden sehen, der irgendwie tot aussah.
Vor einer Woche noch hätte das
wirklich
seltsam geklungen.
Jetzt aber klang es auch nicht viel besser.
»Ich dachte, ich hätte einen Luftzug gespürt«, sagte er. »Gerade eben.«
»Sie haben hinten die Fenster aufgemacht«, meinte Yo-less.
Sie sind nicht da, dachte Johnny. Ich werde es also alleine machen müssen. Na schön…
»Gibt es jetzt Ärger?« fragte Wobbler. »Das hier
sollte
doch eine öffentliche Versammlung sein.«
»Und, sind wir die Öffentlichkeit oder nicht?« wollte Johnny wissen.
»Sind wir das?«
»Warum nicht?«
Zunächst saßen alle da und starren das leere Podium an. Dann stand Mr. Atterbury auf und hinkte die Stufen hinauf.
»Sollen wir eine Versammlung abhalten?« fragte er.
Kalte Luft wirbelte aus dem Kino heraus.
»Nun, das war sehr
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