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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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seinem Medizinstudium, seinen Praktika im Krankenhaus und auf seinen Reisen einiges an Armut und Leid gesehen haben. Hätte ich nicht mit ihm geschlafen, ich würde denken, er ist der nächste Siddhartha-Anwärter, noch einer, der sich von den eigenen Empfindungen abgekoppelt hat wie Manuel.
    Über die Geschichte der Familie Goodrich ließe sich ein Roman schreiben. Daniel weiß, dass sein leiblicher Vater ein Schwarzer, seine Mutter eine Weiße war, kennt sie aber nicht und hat nie versucht, das zu ändern, weil er die Familie, bei der er aufgewachsen ist, als seine einzige ansieht.Sein Adoptivvater Robert Goodrich ist Engländer und ein echter Sir, aber weil er für den Titel in den USA nur Spott ernten würde, führt er ihn nicht. Zum Beweis existiert allerdings eine Farbfotografie, auf der er sich mit einem pompösen Orden an orangefarbenem Band vor Königin Elisabeth II. verbeugt. Er ist ein sehr renommierter Psychiater, hat einiges publiziert, und der Titel wurde ihm für seine wissenschaftlichen Verdienste verliehen.
    Der englische Sir heiratete Alice Wilkins, eine junge amerikanische Geigerin, die in London gastierte, und zog mit ihr in die Vereinigten Staaten, nach Seattle, wo er seine eigene Klinik eröffnete und sie eine Stelle beim Symphonieorchester antrat. Wie sich herausstellte, konnte Alice keine Kinder bekommen, und nach langem Nachdenken adoptierten die beiden Daniel. Vier Jahre später wurde Alice völlig unerwartet schwanger. Erst dachten sie, es handele sich um eine Scheinschwangerschaft, was aber nicht der Fall war, und nach der vorgesehenen Zeit brachte Alice die kleine Frances zur Welt. Statt eifersüchtig auf die Konkurrentin zu sein, begegnete Daniel seiner Schwester mit inniger und ungeteilter Liebe, die mit der Zeit nur größer und von dem Mädchen rundheraus erwidert wurde. Robert und Alice verband die Liebe zur klassische Musik, die sie an ihre Kinder weitergaben, zu Cockerspaniels, die sie von jeher hatten, und zum Sport in den Bergen, was Frances zum Verhängnis werden sollte.
    Daniel war neun und seine Schwester fünf, als ihre Eltern sich trennten und Robert Goodrich zehn Straßen weiter zu Alfons Zaleski zog, dem begabten Pianisten aus Alices Orchester, einem Polen mit rüden Umgangsformen, dem massigen Körper eines Holzfällers, einer unbändigen Künstlermähne und einem zotigen Humor, der in auffälligem Kontrast zu der britischen Ironie und Finesse von Sir Robert Goodrich stand. Daniel und Frances tischte man eine märchenhafte Erklärung für diesen ausgefallenenFreund ihres Vaters auf, und sie hielten zunächst alles für ein vorübergehendes Arrangement, aber das ist jetzt neunzehn Jahre her, und die beiden Männer sind noch immer ein Paar. Inzwischen spielt Alice die erste Geige im Orchester, und Alfons Zaleski sitzt weiterhin am Flügel, die beiden kommen gut miteinander aus, weil der Pole nie versucht hat, ihr den Ehemann wegzunehmen, sondern nur etwas von ihm abhaben wollte.
    Alice blieb im Haus der Familie, behielt die Hälfte der Möbel und zwei von den Cockerspaniels, während sich Robert im selben Viertel in einem ähnlichen Haus mit seinem Liebhaber, den restlichen Möbeln und dem dritten Hund einrichtete. Daniel und Frances wuchsen da und dort auf, zogen mit ihren Köfferchen wochenweise hin und her. Sie besuchten immer dieselbe Schule, an der die Lebensumstände ihrer Eltern nichts Besonderes waren, verbrachten Festtage und Geburtstage mit beiden Eltern und glaubten lange, die vielen Onkel und Tanten der Familie Zaleski, die jährlich zu Thanksgiving wie die Heuschrecken aus Washington einfielen, seien Zirkusakrobaten, denn das war eine der ungezählten Geschichten, die Alfons sich einfallen ließ, um die Kinder für sich zu gewinnen. Die Mühe hätte er sich sparen können, denn Daniel und Frances liebten ihn aus anderen Gründen: Er ist wie eine Mutter für sie gewesen. Er vergötterte sie, verbrachte mehr Zeit mit ihnen als ihre wirklichen Eltern, ist fröhlich und lebenslustig und führte ihnen im Schlafanzug mit Sir Roberts Orden um den Hals akrobatische russische Volkstänze vor.
    Die Goodrichs trennten sich, ersparten sich die Unannehmlichkeiten einer rechtmäßigen Scheidung und haben es geschafft, Freunde zu bleiben. Sie teilen noch immer dieselben Vorlieben wie vor der Begegnung mit Alfons Zaleski, nur in die Berge fahren sie seit dem Unfall von Frances nicht mehr.
    Daniel schloss die Highschool mit guten Noten ab, dawar er gerade siebzehn geworden, und

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