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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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die Schmerzen helfen. Bei den Rosskuren hier muss man sich nicht wundern, dass die Leute vorzeitig altern. Außerdem gehen der Wind und die Kälte auf die Knochen, und die Feuchtigkeit kriecht in die Gelenke; der Körper wird es leid, Kartoffeln aus der Erde zu holen und Meerestiere aus dem Meer, und das Herz wird schwer, weil die Kinder fortgehen. Chicha und Wein halten den Schmerz eine Weile in Schach, doch gewinnt die Müdigkeit am Ende immer die Oberhand. Das Leben ist hier nicht leicht und der Tod für viele eine Einladung, sich auszuruhen.
    Mein Alltag ist bunter geworden, seit die Schule angefangen hat. Vorher war ich die Gringuita, aber seit ich die Kinder unterrichte, bin ich die Tía Gringa. In Chile werden die Erwachsenen als Tío oder Tía angesprochen, auch wenn sie gar keine Onkel oder Tanten sind. Aus Respekt sollte ich zu Manuel eigentlich Tío sagen, was ich aber nicht wusste, als ich hier ankam, und mittlerweile ist es zu spät. Ich schlage langsam Wurzeln auf der Insel, was ich mir nie hätte träumen lassen.
    Im Winterhalbjahr beginnt der Unterricht, wenn es nicht schüttet und hell genug ist, gegen neun am Morgen. Ich jogge zur Schule, Fákin kommt mit, liefert mich am Eingang ab und geht zurück nach Hause ins Warme. Zu Beginn des Schultags wird die chilenische Fahne gehisst, alle stehen stramm und singen die Nationalhymne – »Rein, mein Chile, ist dein blaues Firmament, rein auch die Winde, die dich durchwehen«, usw.   –, und dann gibt uns Tía Blanca ein paar Gedanken für den Tag mit. Freitags sagt sie, wer belohnt wird und wer bestraft, und hält zur Festigung unserer Moral eine kleine erbauliche Rede.
    Ich bringe den Kindern ein bisschen Englisch bei, die Sprache der Zukunft, wie Tía Blanca glaubt, mit einem Schulbuch aus dem Jahr 1952, in dem die Flugzeuge Propeller haben und die Mütter, durch die Bank blond, in hochhackigen Schuhen am Herd stehen. Außerdem zeige ich ihnen Dinge an den Computern, die einwandfrei funktionieren, wenn Strom da ist, und ich bin die offizielle Fußballtrainerin, obwohl jeder von den Dreikäsehochs besser mit dem Ball umgehen kann als ich. Unsere Caleuche-Jungs sind mit olympischem Eifer bei der Sache, denn als Don Lionel Schnake uns die Schuhe schenkte, habe ich mit ihm gewettet, dass wir die Schulmeisterschaften im September gewinnen, und sollten wir verlieren, muss ich mir den Kopf rasieren, was für meine Jungs eine unerträgliche Schmach wäre. Die Pincoya, unsere Mädchenmannschaft, ist unterirdisch, und man verliert besser kein Wort über sie.
    Die Caleuches wollten Juanito Corrales nicht in der Mannschaft haben, sie nennen ihn Zwerg, weil er so schmächtig ist, dabei rennt er wie ein Hase und hat keine Angst vor scharf geschossenen Bällen. Die Kinder hänseln ihn, und wenn sie können, schlagen sie ihn auch. Unser ältester Schüler ist Pedro Pelanchugay, er ist ein paarmal sitzengeblieben, und der allgemeine Befund lautet, er sollte sich den Lebensunterhalt als Fischer bei seinen Onkeln verdienen, anstatt sein bisschen Grips darauf zu verwenden, Zahlen und Buchstaben zu lernen, mit denen er später doch wenig anfangen kann. Er ist ein Huilliche-Indianer, massig, dunkel, stur und geduldig, ein gutmütiger Kerl, mit dem sich aber keiner anlegt, denn wenn er doch einmal die Geduld verliert, walzt er jeden platt. Tía Blanca hat ihn mit Juanitos Schutz betraut. »Wieso denn ich?«, fragte er und starrte auf seine Füße. »Weil du der Stärkste bist.« Dann rief sie Juanito dazu und wies ihn an, Pedro bei den Hausaufgaben zu helfen. »Wieso denn ich?«, stammelte der Kleine, der fast nie den Mund aufmacht. »Weil du der Schlauste bist.« Auf diese salomonische Weise löste Blanca das Problem, dass der eine gepiesackt wird und der andere schlechte Noten schreibt, und legte obendrein den Grundstein zu einer dicken Freundschaft zwischen den Jungs, die zum beidseitigen Nutzen unzertrennlich geworden sind.
    Mittags helfe ich bei der Essensausgabe. Das Bildungsministerium finanziert Huhn oder Fisch, Kartoffeln, Gemüse, Nachtisch und ein Glas Milch. Tía Blanca sagt, für viele Kinder in Chile sei das die einzige Mahlzeit am Tag, aber hier auf der Insel ist das nicht so; wir sind arm, aber zu essen gibt es genug. Mein Einsatz endet nach dem Mittagessen, dann gehe ich nach Hause, arbeite zwei Stunden für Manuel und habe den Rest des Nachmittags frei. Freitags gibt Tía Blanca den drei Kindern, die sich während der Woche am besten betragen haben, zur

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