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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Belohnung ein gelbes Zettelchen mit ihrer Unterschrift, das bedeutet, sie dürfen das Badefass mit dem heißen Wasser benutzen, das bei Tío Manuel hinterm Haus steht. Erst bekommen sie drinnen bei uns eine Tasse Kakao und ein paar von meinen selbstgebackenen Keksen, dann schicken wir sie zum Abseifen unter die Dusche, und danach können sie in dem Fass plantschen, bis es dunkel wird.
    Diese Nacht in Oregon hat sich mir unauslöschlich eingebrannt. Ich lief aus dem Internat fort und den ganzen Tag weiter durch den Wald, ohne zu wissen, wohin, hatte nur diesen einen Gedanken, dass ich meinen Vater verletzen und die Therapeuten loswerden wollte, ich hatte sie so satt mit ihren Gruppensitzungen, ihrer zuckersüßen Freundlichkeit und ihrem obszönen Drang, mein Inneres bloßzulegen. Ich wollte normal sein, weiter nichts.
    Geweckt hatte mich das vorbeigleitende Licht eines Wagens, und ich rannte durchs Unterholz, stolperte über Wurzeln und bog Kiefernzweige zur Seite, aber als ich die Straße schließlich fand, die keine fünfzig Meter entfernt lag, waren die Lichter verschwunden. Der Mond beleuchtete den gelben Mittelstreifen der Fahrbahn. Ich nahm an, es würden weitere Autos kommen, denn es war noch nicht sehr spät, und ich behielt recht, hörte kurz darauf ein tiefes Motorengeräusch und sah weit hinten das Licht von zwei Scheinwerfern, erkannte wenig später den gigantischen Truck, zu dem sie gehörten, mit Rädern, so groß wie ich, und zwei flatternden Fahnen an der Fahrerkabine. Ich trat vor ihm auf die Fahrbahn und ruderte mit den Armen. Erschrocken über die jähe Erscheinung stieg der Fahrer in die Eisen, ich musste aber dennoch zur Seite springen, weil das massige Gefährt erst zwanzig Meter weiter zum Stehen kam. Ich lief hin. Der Fahrer sah aus dem Seitenfenster, leuchtete mich von Kopf bis Fuß mit einer Taschenlampe ab, musterte mich, fragte sich wohl, ob dieses Mädchen der Köder einer Gang von Strauchdieben sein könnte. Als er mein Medusenhaupt in Sorbetfarben sah und sich vergewissert hatte, dass niemand bei mir war, schien er beruhigt. Er hielt mich wohl für eine harmlose Fixerin, wieder so ein dummes Kind auf Droge. Er winkte mich heran, entriegelte die Beifahrertür, und ich kletterte in die Kabine.
    Aus der Nähe wirkte der Mann ähnlich einschüchternd wie sein Gefährt, groß, durchtrainiert, Arme wie ein Gewichtheber, ärmelloses Shirt und ein dünner Pferdeschwanz unter der Baseballkappe, wie der Brutalo aus einem Comic, aber ich konnte nicht mehr zurück. Ich sah auf den Babyschuh und die Heiligenbildchen, die am Rückspiegel baumelten. »Ich fahre nach Las Vegas«, sagte er. Ich sagte, ich sei nach Kalifornien unterwegs, und fügte hinzu, Las Vegas sei mir auch recht, in Kalifornien erwarte mich niemand. Das war der zweite Fehler; der erste war, in diesen Truck zu steigen.
    Die nächste Stunde verging mit einem angeregten Monolog des Fahrers, der eine Energie ausschwitzte, als wäre er auf Speed. Unermüdlich funkte er andere Fahrer an, sie rissen Witze und plauderten übers Wetter, den Straßenbelag, Baseball, den eigenen Truck und die Restaurants an der Strecke, und dazu kündeten evangelikale Prediger im Radio aus vollem Hals von der Wiederkehr Christi. Er rauchte Kette, schwitzte, kratzte sich, trank Wasser. Die Luft in der Kabine war zum Schneiden. Er bot mir Kartoffelchips aus einer Tüte auf seinem Sitz an und eine Dose Coca-Cola, fragte aber weder nach meinem Namen noch danach, was ich mitten in der Nacht auf dieser gottverlassenen Straße zu suchen hatte. Dafür erzählte er mir von sich: Er hieß Roy Fedgewick, kam aus Tennessee, war beim Militär gewesen, bis er nach einem Unfall entlassen wurde. In der Klinik für Orthopädie, in der er Wochen verbrachte, hatte er zu Jesus gefunden. Er redete und redete und zitierte Bibelstellen, während ich vergeblich versuchte, mich zu entspannen, den Kopf an die Seitenscheibe lehnte, so weit wie möglich weg von seiner Zigarette; ich hatte Krämpfe in den Beinen und ein unangenehmes Kribbeln auf der Haut von meinem Gewaltlauf des vergangenen Tages.
    Etwa achtzig Kilometer weiter bog Fedgewick von der Straße ab und hielt vor einem Motel. Der Name stand auf einer blauen Leuchtreklame mit etlichen kaputten Birnen.Nichts deutete auf Betrieb hin, eine Reihe von Zimmertüren, ein Getränkeautomat, eine Telefonzelle, ein Laster und zwei PKWs, die aussahen, als stünden sie seit Anbeginn der Zeit dort.
    »Ich sitze seit sechs Uhr früh am

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