mayday mayday ... eastern wings 610
zu Ihnen geführt hat.«
Vor einem der beiden Fenster waren die Vorhänge zugezogen. Das andere war wohl die Nordseite. Jedenfalls war es nicht allzu hell im Raum, doch Enslin war blasser geworden, fand Brückner, eindeutig blasser.
Er schwieg.
»Herr Enslin! Ein Mann, der derartige Papiere aufbewahrt und sich in einem abgelegenen Haus, in einem abgelegenen Dorf, in einem abgelegenen Bergtal versteckt …«
»Versteckt? – Hören Sie …«
Es blieb bei dem Anlauf. Er unterbrach sich, zog die Unterlippe zwischen die Schneidezähne, sagte noch immer nichts. Doch Brückner fühlte den Zorn wie in Wellen zu sich herüberschlagen. Zorn? Oder Angst? Das Mädchen mit dem hübschen Namen Selima hatte sich in einem Sessel zusammengekauert. Sie war nichts als ein Schatten. Nur ihr Atem war zu hören. Sie starrte vor sich hin.
»Diese ACP in Tripolis scheint ja ein interessanter Laden zu sein. Hat sie denn auch in der Schweiz eine Filiale? In Zürich zum Beispiel …«
»Nochmals: Wer schickt Sie? Wer ist Ihr Auftraggeber?«
Eine gute Frage, dachte Brückner. Eine Frau namens Anja wäre wohl die Antwort. Aber das hätte sie nicht weitergebracht.
Max Enslin drehte sich um und blickte zum Telefon. »Was reden wir hier rum? Ich hole jetzt die Polizei.«
»Ist denn der Anschluß überhaupt bezahlt? Ich meine, Sie haben doch ziemlich Schwierigkeiten. Außerdem: Wofür brauchen Sie hier schon ein Telefon?«
Enslin warf ihm einen zornfunkelnden Blick zu und tat, als wolle er sich in Bewegung setzen.
»Rufen Sie ruhig an, Enslin. Ich hab' da überhaupt nichts dagegen. Ein Gespräch mit der Polizei steht für Sie sowieso auf dem Programm. Aber ich werde dann erzählen müssen, daß Sie über die Firma Saad und ihre Mittelsmänner versucht haben, einen Handel mit hochkarätigen Flugzeugersatzteilen einzufädeln, deren Einfuhr nach Libyen streng verboten ist. Auf so was, das wissen Sie so gut wie ich, steht Gefängnis. Und es wird auch nicht das einzige Thema sein, das dann auf's Tapet kommt.«
»Hauen Sie ab! Sie können sein, wer Sie wollen, aber Sie kotzen mich an.«
»Kann ich Ihnen nicht übelnehmen, Enslin. Nur: Den Gefallen tu' ich Ihnen nicht. Da wäre nämlich dieses zweite und für mich noch wichtigere Thema: Was haben Sie eigentlich in die MD-80 eingebaut, die vor drei Tagen beim Landeanflug in Palma de Mallorca verunglückt ist?«
»Ich? Sie spinnen wirklich! Ich bin aus der Crossair ausgeschieden. Was hab' ich damit zu tun?«
»Jetzt wird's ein bißchen einfältig, finden Sie nicht? Einbau und Tests erfolgten unter Ihrer Regie, Enslin. Sie waren in Basel bei der Crossair-Werft noch der verantwortliche Mann.«
Die junge Frau in der Ecke wollte aufstehen. Sie hatte genug, und es war ihr anzumerken.
»Bleiben Sie ruhig sitzen.«
Selima hielt sich nicht daran. Sie sprang auf und schrie: »Merde, mon Dieu. Schmeiß ihn raus!«
Er tat es nicht. Er drehte sich zum Schrank, öffnete ihn und sagte: »Das kann ich Ihnen beweisen. Ich kann Ihnen noch was zeigen, das Sie anscheinend nicht mitbekommen haben. Am Schrank waren Sie doch auch?«
Brückner hätte besser geantwortet. Vor allem hätte er aufpassen müssen. Falls er in diesem beschissenen Schnüfflerjob weiterkommen wollte, war es in Zukunft wohl wichtig, das Filzen von Räumen und Schränken ernster zu nehmen, denn als Enslin sich wieder umdrehte, waren die Karten neu gemischt. Er hielt irgend etwas Schwarzes, Mattglänzendes in der Hand. – Eine Waffe!
Er war ganz still. Er hörte sein Herz. Und auch der Druck an der rechten Schläfe war wieder da. Wo hatte er die verdammte Kanone bloß versteckt gehabt? Hinter seinen Schallplatten, dem Stereoverstärker? – Das spielte nun auch keine Rolle mehr.
Enslin hielt die Pistole in der Hand. Und der Lauf war auf Brückners Magen gerichtet.
Vielleicht war es die Bedrohung, vielleicht war es sein triumphierendes Grinsen oder das Schweigen im Raum. Was immer es war – Brückner dachte nicht daran, es zu akzeptieren. Er wollte das alles hinter sich haben. Und unter jeder Bedingung.
Brückner handelte in derselben Sekunde. Was er tat, unterlag keiner Überlegung, es geschah ohne Plan oder Absicht, war nichts als Instinkt. Der Tisch, der sie trennte, war nicht sehr groß. Und schwer war er auch nicht. Helles Kiefernholz. Darauf befanden sich noch immer die beiden grünen Plastiktüten und die beiden Flaschen Merlot.
Er griff unter den Rahmen. Enslins höhnisches Gesicht verschwand. Die Flaschen knallten zu
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