Mayday
nur hoffen, daß sein eigener Verdacht, so vage er auch war, sich als begründet erweisen würde. Sonst manövrierte der Chefpilot sich jetzt in eine unhaltbare Situation hinein.
Fitzgerald brach als erster das Schweigen. »Johnson, wir bekommen noch heraus, was Flug 52 zugestoßen ist, was sich hier ereignet hat und wer fahrlässig gehandelt hat. Mir ist’s völlig egal, wie lange das dauert oder wer dabei unter die Räder kommt!«
Johnson nahm seine Zigarre aus dem Mund. »Glauben Sie etwa, daß ich die verdammte Bombe gelegt habe? Versuchen Sie lieber nicht, mir diesen Unfall anzuhängen, Captain. Ich weiß, wie man überlebt, und ich verspreche Ihnen, daß ich auch diese Krise überdauern werde.« Er wandte sich ab, verließ den Raum und atmete die bessere Luft des Dispatcherbüros tief ein. Johnson hatte bohrende Kopfschmerzen und spürte, daß seine Magennerven sich verkrampften. Er ging an Wayne Metz vorbei, ohne auf die Dispatcher zu achten, die angelegentlich in ihre Arbeit vertieft waren, und verließ das Büro durch die blaue Tür, durch die er es vor nicht allzu langer Zeit betreten hatte.
Vizeadmiral a. D. Randolf Hennings lehnte schwer auf der Reling des Seitenganges auf dem Deck O-2 der Aufbauten des Flugzeugträgers Chester W. Nimitz. Er war allein und konnte damit rechnen, in nächster Zeit nicht gestört zu werden. Sein Blick fiel auf die beiden weißen Sterne über dem anschließenden Niedergang, die ihn als Admiralstreppe kennzeichneten. Gang und Treppe durften von niedrigeren Dienstgraden nur in dienstlichem Auftrag betreten werden. Dieser für den Admiral freigehaltene Gang gehörte zu den alten Traditionen der US Navy. Hennings hatte schon immer gewußt, wie unsinnig solche Dinge waren. Sinnlose Überlieferungen. Aber er war sich auch darüber im klaren, wie sehr er sie genoß. Traditionen. Ehrenordnungen. Gelöbnisse und Diensteide. Sie alle basierten auf dem gleichen Bedürfnis und erfüllten den gleichen Zweck.
Hennings atmete langsam aus. Seine Finger glitten über die mit einem Tau umwickelte Reling. Allein die Berührung des rauhen Hanfs rief unzählige Erinnerungen wach. Der Südpazifik – oder die Südsee, wie sie damals noch hieß. Blaues Meer, Sonnenschein, Palmenstrände und junge Offiziere in Tropenuniformen. Der Krieg. Die großen Seeschlachten und Landungsunternehmen. Aber diese Erinnerungen waren jetzt befleckt. Über ihnen stand in blutroten Lettern das Wort, das der Alte jetzt unwillkürlich flüsterte: »Mord!«
Hennings stieg langsam den grauen menschenleeren Niedergang hinunter, öffnete die Tür und trat aufs Flugdeck hinaus.
Auf dem nahezu leeren Deck wehte ein mäßiger Wind. Siebzig Meter vor den Aufbauten stand die Kuriermaschine, die Hennings auf die Nimitz gebracht hatte. Sie wurde von ihren Piloten vor dem Start überprüft. Eine Ordonnanz hatte sein Gepäck aus seiner Kabine geholt und zum Einladen bereitgestellt. Hennings hatte das Gefühl, vor einer Ewigkeit auf dem Flugzeugträger gelandet zu sein. Er wandte sich ab und ging nach achtern davon.
Die Sonne stand genau achteraus, und über dem asphaltierten Flugdeck flimmerten Hitzewellen. Hennings sah einen Matrosen, der in der Nähe des hinteren Steuerbordaufzugs arbeitete, und machte einen Bogen um ihn. Er überquerte das Deck diagonal und marschierte zum Heck, wo er mit den Händen auf der Sperrkette stehenblieb. Tief unter sich sah er das weißschäumende Kielwasser des atomgetriebenen Superträgers. Senkrecht unter ihm flatterte ein riesiges Sternenbanner am Flaggstock. Das Rot, Weiß und Blau der amerikanischen Flagge hob sich wirkungsvoll vom Kielwasser ab.
Randolf Hennings dachte an seine Frau Mary. Er hatte den größten Teil ihrer 33 Ehejahre von ihr getrennt verbracht. Und da sie schon bald nach seiner Versetzung in den Ruhestand gestorben war, hatten sie eigentlich nie Zeit für die gemeinsamen Unternehmungen gehabt, die sie sich so lange vorgenommen hatten.
Er dachte an seine Freunde. Die meisten von ihnen waren bereits tot – im Krieg gefallen, an Krankheiten gestorben. Die noch lebenden Kameraden vegetierten irgendwo im Ruhestand dahin. Als Marinemann war er entwurzelt, hatte keine Heimatstadt und lebte ohne Angehörige.
Hennings war immer mehr zu der Einsicht gelangt, daß er nicht einsam, sondern auch ein Anachronismus war. Er hatte stets vermutet, die wissenschaftlichen Errungenschaften und Lösungen von heute müßten morgen auf unerwartete und unannehmbare Weise bezahlt werden.
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