Mayday
Barbara!«
Stein rief ihren Namen nach unten. Er richtete sich wieder auf und schüttelte den Kopf.
John Berry griff nach dem Mikrophon der Bordsprechanlage, legte es dann aber wieder weg. »Nein, das regt sie nur auf.« Er bemühte sich, seine Ungeduld nicht direkt zu zeigen. »Wahrscheinlich ist sie gerade zwischen zwei Sektionen. Oder im Aufzug nach oben. Wir müssen warten.« Er sah zu Sharon hinüber, bevor er wieder nach vorn durch die Windschutzscheibe blickte. Wenn sie ein bißchen älter wäre … Aber warum dachte er ausgerechnet jetzt darüber nach? Eigenartig, daß der Mensch dazu neigt, in Lebenslagen, in denen das Ende in Sicht ist, langfristige Pläne zu schmieden. Sein Vater hatte in jenem Winter, in dem er an Krebs gestorben war, Pläne für die Frühjahrsarbeit im Garten gemacht. »Was haben Sie für die Zukunft vor, Sharon? Wollen Sie weiterfliegen?«
Sie nickte lächelnd. »Als erstes mache ich eine Woche Urlaub, John – vielleicht sogar zwei Wochen.« Ihr Gesichtsausdruck wurde wieder ernst. »Und danach will ich weitermachen wie bisher. Nach einem schlimmen Erlebnis muß man einfach weiterfliegen, sonst versucht man sein Leben lang, Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen.« Sharon zog die Augenbrauen hoch. »Und was ist mit Ihnen? Wollen Sie in Zukunft nicht
mehr mit Ihrem kleinen Firmenflugzeug fliegen?«
»Mit der Skymaster? Doch, doch, natürlich fliege ich weiter!«
»Gut.« Sie zögerte, beugte sich dann zu ihm hinüber und legte ihm eine Hand auf den Arm. »Trauen Sie sich zu, diese Maschine zu landen?«
Berry betrachtete sie nachdenklich. Ihr Lächeln und die Bewegung ihres Körpers waren eindeutig und hatten kaum etwas mit dieser Frage zu tun. Trotzdem wirkte ihre Geste keineswegs herausfordernd. Sie war nur ein freundschaftliches, ehrliches Angebot. Vielleicht erreichten sie in einigen Stunden lebend amerikanischen Boden. Vielleicht fanden sie dabei – was wahrscheinlicher war – den Tod. »Sie helfen mir. Gemeinsam können wir die Maschine landen. Was bleibt uns anderes übrig?« Er lächelte verlegen, weil ihre Hand noch immer auf seinem Arm lag.
Sharon Crandall richtete sich auf. Sie gab keine Antwort auf seine ohnehin nur rhetorisch gemeinte Frage. Statt dessen starrte sie aus dem Seitenfenster und dachte kurz an ihren letzten Liebhaber. Leere und Langweile. Sex und Fernsehen. Wenn sie sich ehrlich Rechenschaft ablegte, hatte es keine Gemeinsamkeiten gegeben, und die Trennung hatte keine Lücke in ihrem Leben hinterlassen. Trotzdem war sie einsam.
»Sollen wir von jedem von uns eine Nachricht übermitteln?« schlug sie vor. Doch schon im nächsten Augenblick fragte sie sich, wem sie eine Nachricht schicken sollte. Wahrscheinlich ihrer Mutter.
Berry schüttelte den Kopf. »Nein, das wäre ein bißchen … melodramatisch«, meinte er. »Finden Sie nicht auch? Etwas zu endgültig. Wir haben noch Zeit. Später kann ich für jeden von uns eine Nachricht übermitteln. An wen möchten Sie Ihre …?«
»Ihre Frau ist bestimmt außer sich vor Angst um Sie.«
Berry hätte mehrere Antworten parat gehabt. Meine Lebensversicherung ist bezahlt. Das dürfte ihre Angst mildern. Oder: Jennifer ist zuletzt außer sich gewesen, als sie ihre Kreditkarte bei Bloomingdale’s verloren hat. Er sagte jedoch: »Ich bin davon überzeugt, daß die Fluggesellschaft alle auf dem laufenden hält.«
»Ja, natürlich.« Sie wechselte abrupt das Thema. »Sie haben die Maschine ziemlich gut in der Hand«, stellte sie fest. »Die Ruder funktionieren einwandfrei. Und wir haben noch fast die Hälfte unseres Treibstoffs.« Sie deutete auf die Treibstoffanzeiger.
»Richtig«, bestätigte Berry. Er erinnerte sich daran, daß er Sharon erst vor zehn Minuten auf diese Tatsache aufmerksam gemacht hatte. »Der Treibstoff müßte reichen.« Aber er wußte, daß der Treibstoffverbrauch bei Gegenwind oder schlechtem Wetter in die Höhe schnellen konnte. Und was die Ruder betraf, so hatte er bisher nur eine Rechtskurve geflogen. Er hatte keine Ahnung, ob auch die Höhenruder einwandfrei funktionierten.
»Captain Stuart hat mir erklärt«, fuhr Crandall fort, »solange Ruder und Triebwerke funktionierten, sei kein Flugzeug verloren.«
»Ja, das stimmt«, antwortete Berry. Da sie Stuart erwähnt hatte, drehte er sich um und warf einen Blick in den Salon. Die beiden Piloten lagen noch immer bewegungslos auf dem blauen Teppich in der Nähe des Klaviers. Berry kontrollierte die Instrumente und den Autopiloten der
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