McDermid, Val
Profil für jemanden in seiner Branche. Er weiß,
wie leicht es ist, sich über die Sicherheitsbestimmungen hinwegzusetzen,
deshalb will er möglichst wenig präsent sein. Sein Handy ist seit Tagen
abgeschaltet. Letztes Mal war es an, als Seth aus dem Hauptbahnhof ver schwand. Und es hat den
nächsten Mobilfunkmast angepingt in der Nähe vom ... Willst du raten?«
»Hauptbahnhof«, sagte Tony.
»Genau. Er ist also ganz bestimmt flüchtig.«
»Hat jemand mit der Freundin
über ihn gesprochen?« Carol schüttelte den Kopf. »Ich will sie nicht
aufschrecken, weil sie ihn dann vielleicht warnt. Er ist durchaus in der Lage,
eine Identität zu fälschen oder zu stehlen. Wenn er jetzt weglaufen sollte,
hätten wir Probleme, ihn zu finden. Er könnte irgendwo untertauchen. Hier oder
im Ausland.« Tony schüttelte den Kopf. »Er wird nicht verschwinden. Er hat eine
Mission und wird nicht aufhören, bis sie zu Ende geführt ist. Es sei denn, dass
wir ihn aufhalten.«
»Worin besteht seine Mission?«
Tony sprang vom Stuhl auf und
begann, in dem engen Büro auf und ab zu gehen. »Er glaubt, dass er die Saat des
Bösen ist. Etwas ist geschehen, das ihn mit Furcht und Selbsthass erfüllt hat. Etwas,
das, wie er glaubt, sich weitervererbt. Ich glaube nicht, dass es etwas so
Einfaches wie eine Krankheit ist, obwohl das möglich wäre. Aber er ist
entschlossen, diese schlechte Anlage auszumerzen. Um selbst am Ende der Vererbungslinie
zu stehen. Er wird all seine leiblichen Kinder töten. Und dann wird er sich
selbst umbringen.« Carol starrte ihn entsetzt an. »Wie viele?«
»Ich weiß nicht. Können wir es
herausfinden?«
»Anscheinend nicht. Laut der
nicht gerade hilfsbereiten Ärztin im Bradfield Cross Hospital sind alle
Informationen über anonyme Samenspender absolut tabu. So verdammt unzugänglich,
dass man sich, ehrlich gesagt, fragt, warum sie sie überhaupt aufbewahren. Wenn
sie sie niemals nutzen, warum zerstört man sie dann nicht einfach? Dann könnte
auch kein Missbrauch damit getrieben werden.« Carol nahm den Wodka wieder aus
ihrer Schreibtischschublade. Und dazu eine kleine Dose Tonic. Beides
goss sie in ein Wasserglas auf ihrem Schreibtisch. »Möchtest du etwas
trinken?«, fragte sie trotzig.
»Nein, ich nicht. Ich bin high
genug von all dem, was zur Zeit in meinem Kopf herumschwirrt. Weil etwas an
diesem Bild nicht ganz stimmt«, sagte er.
»Aber unsere Erkenntnisse
greifen doch alle ineinander. Ich kann mir keine andere Theorie vorstellen, die
zu den Fakten passt.« Sie nippte an ihrem Glas und spürte, wie sich etwas von
der Spannung in ihrem Nacken zu lösen begann. »Kann ich auch nicht. Aber das
heißt noch nicht, dass ich recht habe.« Er drehte sich plötzlich um und blieb
vor ihrem Schreibtisch stehen. »Wenn es so schwer ist, an diese Informationen
ranzukommen, wie hat er sie dann bekommen? Und was ist geschehen, das ihn zu
diesem Kreuzzug motivierte? Er hat unendlich viel Zeit damit verbracht, seine
Opfer vorzubereiten. Wie hat er das geschafft?«
»Vielleicht hat er es nicht
geschafft. Vielleicht ist seine Freundin bei der Arbeit für ihn
eingesprungen.« Sie kippte den Rest ihres Drinks hinunter und seufzte
zufrieden. »Mein Gott, jetzt geht's mir besser.«
»Ich wünschte, ich könnte mit
ihr sprechen«, murmelte er. »Ich weiß. Aber wir müssen abwarten, bis wir sehen,
was Stacey erreichen kann.«
»Das sehe ich ein. Aber mir
ist praktisch noch nie ein Serientäter untergekommen, der eine lang anhaltende
emotionale Beziehung hatte. Wenn wir in Bezug auf Warren Davy recht haben,
dann gibt es so viele Fragen, die sie beantworten könnte. So viele Einblicke,
die sie uns gewähren könnte.« Er seufzte.
»Du wirst Gelegenheit dazu
bekommen.«
Tony grinste. »Ich freue mich
schon wie ein Schneekönig.«
Carol schüttelte amüsiert den
Kopf. »Du bist komisch.«
»Ich weiß nicht, wie du das
sagen kannst, wenn es da draußen Leute wie Warren Davy gibt. Im Vergleich zu
ihm bin ich die Normalität in Person.«
Sie brach in schallendes Gelächter
aus. »Darauf würde ich mich nicht verlassen, Tony.«
38
Alvin Ambrose fühlte sich
sofort wie zu Hause im Büro des Sondereinsatzteams. Die Menschen hier waren die
Art Polizisten, mit der er sich verstand. Paula Mclntyre hatte ihm einen
Schreibtisch, ein Telefon, einen Computer und einen Kaffee organisiert. Alle,
die vorbeikamen, hatten sich vorgestellt, sogar die kleine Chinesin in der
Ecke, die wirkte, als sei sie verlötet mit ihrem
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