McDermid, Val
Geliebten, der aus großer Gefahr zurückkehrt.
In Krisenzeiten war es eine bessere Droge als andere, die sie bei Freunden und
Kollegen erlebt hatte. Zumindest wurde durch das Nikotin nicht die
Urteilsfähigkeit getrübt, und man kam auch nicht in kompromittierende Situationen
mit fiesen Dealern.
»Also, was ist da unten im
Graben?«, fragte Paula.
»Ein Junge. Passt zur
Beschreibung von Daniel. Trägt ein Schuluniform-Sweatshirt der passenden
Schule.«
»Haben Sie keine Fotos?«
Riley seufzte, und dabei
entwich seinem Mund eine dünne Rauchwolke. »Wir haben Bilder. Aber die sind
keine große Hilfe. Er hat eine Plastiktüte über dem Kopf. Um den Hals herum
festgeklebt. Sieht aus, als sei er so gestorben, zumindest nach seinem Zustand
zu urteilen.« Er schüttelte den Kopf. »Aber das ist nicht das Schlimmste
daran.« Paulas Magen verkrampfte sich. Sie hatte genug gesehen, um zu
begreifen, was dieser kurze Satz beinhalten konnte. »Verstümmelt?«
Riley schaute über ihre
Schulter zu den Bäumen in der Ferne, sein ramponiertes Gesicht glich einer
abweisenden Maske. »Nur ein blutiges Loch, wo sein Penis und die Hoden sein
sollten. Kein Anzeichen, dass sie noch irgendwo in der Nähe sind, aber wir
werden es nicht sicher wissen, bis wir ihn wegbringen.«
Sie war froh, dass sie sich
die Leiche nicht hatte ansehen müssen. Nur allzu gut kannte sie das Mitgefühl
und das Entsetzen, das sich bei Leichen brutal ermordeter, besonders junger
Opfer stets einstellte. Sie sahen immer aus, als habe man sie betrogen, ihre
Verletzlichkeit war eine Anklage. »Was sagt Ihr Chef?«, erkundigte sie sich.
»Ich meine, das ist ja so schwerwiegend, wie es überhaupt nur geht.«
Riley lachte. »Er macht sich
in die Hose. Ich glaube, wir können ruhig sagen, es ist Zeit, den Schwarzen
Peter weiterzugeben. Wir werden den Fundort weiter bearbeiten, aber Sie können
Ihrer Chefin sagen, dass der Fall jetzt euch gehört. Ich werde mich darum
kümmern, dass alle Unterlagen in Ordnung sind,, und sie so bald wie möglich an
Ihr Büro schicken.«
»Danke«, sagte Paula und nahm
ihr Telefon heraus. Eine Chance für das Team, sich vor Blake zu beweisen, dachte
sie. Aber Daniel Morrison hatte einen schrecklichen Preis für diese Chance
gezahlt. Und seine Familie hatte noch nicht einmal die Anzahlung geleistet.
Carol Jordans Motivation war
immer ihr Verlangen nach Gerechtigkeit gewesen. Es hatte ihr privates genauso
wie ihr Berufsleben durchzogen. Denn es war ihr ein dringendes Bedürfnis, die
Menschen, die sie liebte, vor Unrecht zu bewahren. In Tonys Fall war sie vor
allem frustriert gewesen, weil die Wurzeln seiner Probleme zu tief lagen, als
dass sie sie fassen, geschweige denn heilen konnte. Aber als sie Vanessa Hill
traf, hatte ihr das Möglichkeiten eröffnet. Wäre die Frau nur ein
oberflächliches, selbstsüchtiges Miststück gewesen, dem es niemals hätte
erlaubt sein sollen, ein Kind aufzuziehen, so hätte Carol ihre Beleidigungen
und Unterstellungen noch schlucken können. Aber als sie Vanessas
hinterhältigen Plan aufdeckte, ihren Sohn um das Erbe seines unbekannten Vaters
zu bringen, da wusste Carol, dass alle Brücken zu einer eventuellen
Zusammenarbeit mit Vanessa zerstört waren. Und doch konnte Carol dem Gedanken
nicht widerstehen, dass sie es versuchen musste. Obwohl Tony meinte, es sei
nicht das, was er wollte, musste sie doch ihr Bestes für ihn tun. Es war nicht
leicht, sich seinen Wünschen zu widersetzen, aber seine Reaktion am Abend
zuvor hatte sie überzeugt, dass sie recht damit hatte, ihre Zweifel
abzustreifen. Sie war überzeugt, dass die Informationen, die sie über Arthur
Blythe hatte sammeln können, etwas Positives für Tony bedeuteten. Aber es gab
noch so vieles herauszufinden. Sie wollte wissen, wo Blythe sich aufgehalten
hatte, bevor er nach Worcester gekommen war, und womit er sich beschäftigt
hatte. Sie nahm an, dass er in Halifax gelebt hatte, wo Tony bei seiner Großmutter
aufwuchs. Vanessa betrieb dort immer noch ihre Beratungsagentur für die
Anwerbung und Fortbildung von Personal. Carol fragte sich, wie es ihr erging
auf einem Arbeitsmarkt, der jeden Tag zu schrumpfen schien, jetzt, da sich die
weltweite Rezession tiefer in alle Bereiche der Beschäftigung fraß. Aber wenn
irgendjemand nicht nur überleben, sondern mit einem Vorsprung vor der
Konkurrenz daraus hervorgehen würde, dann war es Vanessa Hill.
Carol war durchaus nicht
begeistert davon, sich mit Vanessa auseinanderzusetzen. Aber es
Weitere Kostenlose Bücher