McDermid, Val
dass er ihr noch nie etwas anderes als Enttäuschungen bereitet
hatte, wenn es um ihre persönliche Beziehung ging. Carol leerte ihr Glas. »Bis
zum nächsten Mal«, sagte sie. »Es läuft ja nicht weg.«
Zum Abschied winkte er kurz
und ging auf die Treppe zu, die ihre Souterrainwohnung von seinen
Obergeschossen trennte. Als er sich umdrehte, um gute Nacht zu sagen, sah er,
dass ihr Lächeln weicher wurde. »Ich kenne dich doch«, sagte sie. »Früher oder
später wirst du es erfahren müssen.«
Alvin Ambrose nestelte seine
Karte aus der Innentasche seiner Jacke, während er auf das Haus zuging. Er
wusste, dass sich seine Größe, seine Hautfarbe und die Tatsache, dass es nach
zehn Uhr abends war, in den Augen der Bewohner dieses gehobenen
Einfamilienhauses zu seinem Nachteil auswirken würden. Es war am besten, den
Ausweis gleich parat zu haben, wenn die Tür aufging.
Der Mann, der auf das Klingeln
hin öffnete, blickte stirnrunzelnd auf seine Uhr. Dann machte er viel
Aufhebens davon, Ambrose' Ausweis genau zu studieren. »Finden Sie, das ist
jetzt eine angemessene Uhrzeit?«
Ambrose unterdrückte eine
sarkastische Entgegnung und fragte nur: »Mr.David Darsie? Detective Sergeant
Ambrose von der West-Mercia-Polizei. Es tut mir leid, Sie zu stören, aber wir
müssen mit Ihrer Tochter Claire sprechen.« Der Mann schüttelte den Kopf,
seufzte und setzte eine gekünstelte Miene ungläubigen Staunens auf. »Es ist
nicht zu fassen. Zu dieser Stunde belästigen Sie uns, weil Jennifer Maidment
noch spät unterwegs ist? Es ist kaum halb elf.« Es war Zeit, den Kerl in die
Schranken zu weisen. »Nein, Sir«, entgegnete Ambrose, »ich belästige Sie zu
dieser Stunde, weil Jennifer Maidment ermordet worden ist.« David Darsies
Gesichtsausdruck wechselte so schnell von Ärger zu Schrecken, als hätte man
ihn geohrfeigt. »Was? Wie ist das möglich?« Er sah Ambrose über die Schulter,
als erwarte er, dass sich dort ein Alptraum abzeichnen werde. »Ihre Mutter hat
doch erst vor einer Weile angerufen.« Er fuhr sich mit der Hand über sein
leicht schütteres dunkles Haar. »Herrgott. Ich meine ...« Er schluckte
krampfhaft. »Ich muss mit Ihrer Tochter sprechen«, wiederholte Ambrose und trat
näher an die offene Tür heran.
»Ich weiß nicht ... Das ist ja
unglaublich. Wie kann ... Mein Gott, Claire wird am Boden zerstört sein. Hat es
nicht bis morgen früh Zeit? Können Sie uns nicht Zeit geben, es ihr schonend
beizubringen?«
»Es geht nicht schonend, Sir.
Ich muss heute Abend mit Claire sprechen. Es geht um die Ermittlung in einem
Mordfall. Wir können es uns nicht leisten, Zeit zu verlieren. Je eher ich mit Claire
sprechen kann, desto besser für unsere Ermittlungen. Ich habe nichts dagegen,
wenn Sie und Ihre Frau bei dem Gespräch dabei sind, aber es muss noch heute
Abend sein.« Ambrose wusste, dass er hartgesotten wirkte auf Menschen, die
seine Schwächen nicht kannten. Wenn es darum ging, eine Ermittlung
voranzubringen, machte es ihm nichts aus, alle Mittel zu nutzen, die ihm zur
Verfügung standen. Er sprach jetzt leiser und klang wie das dunkle Rumpeln von
Panzern, die die Straße entlangrollten. »Jetzt. Erlauben Sie.« Sein Fuß war
schon über der Schwelle, und Darsie blieb keine andere Wahl, als
zurückzuweichen.
»Kommen Sie rein«, sagte er
und winkte ihn zur ersten Tür rechts.
Ambrose ging voran in ein
heimeliges Wohnzimmer. Die Möbel sahen gebraucht, aber bequem aus. Auf einem
Regal standen DVDs und Brettspiele, ein Haufen Spielzeug lag in der Ecke
zwischen einem Sofa und dem Breitbildfernseher kunterbunt durcheinander. Ein
Couchtisch war mit Meccano-Bauteilen übersät, und ein Stoß Kinderbücher lehnte
gegen das Ende des anderen Sofas. Der Raum war leer, und Ambrose schaute
Darsie erwartungsvoll an. »Entschuldigen Sie das Durcheinander«, sagte er.
»Vier Kinder, und uns allen ist die Unordentlichkeit angeboren.« Ambrose
bemühte sich, über den Mann nicht zu streng zu urteilen, dem der Zustand des
Zimmers wichtig war, nachdem er gerade erfahren hatte, dass die beste Freundin
seiner Tochter umgekommen war. Er wusste, dass Schock unwägbare und
unangemessene Reaktionen hervorrief. »Und Ihre Tochter?«
Darsie nickte eifrig. »Einen
Moment, ich hole Claire und ihre Mutter.«
Darsie war mit seiner Frau und
Tochter so schnell wieder zurück, dass Ambrose wusste, der feige Kerl hatte
ihnen nicht selbst die Nachricht übermittelt. Claire, dünn und abgezehrt, in
einem flauschigen weißen
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