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McDermid, Val

McDermid, Val

Titel: McDermid, Val Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vatermord
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auch dem Mörder. »Sagen,
dass du wirklich was bist? Zeigen, dass du etwas bist ... Aber was? Was ist das
Geheimnis? Das Geheimnis, von dem sie nicht weiß, dass sie es hat? Was für ein
Geheimnis können wir haben, das wir nicht einmal selbst kennen?«
    Seine Wanderungen hatten ihn
zu einem Tisch mit Gläsern geführt. Nicht die zu erwartenden schweren
Kristallgläser, die zu den leicht altmodischen, bequemen Möbeln gepasst hätten,
sondern Gläser mit einer modernen, stilvollen Form, die ganz unaufdringlich in
der Hand lag. Er nahm eines und fand es angenehm schwer. Spontan goss er sich
einen kleinen Armagnac ein. Normalerweise hätte er so etwas nicht getrunken,
aber da drei verschiedene Sorten auf dem Tisch standen, war er überzeugt, dass
dies Edmund Arthur Blythes Lieblingsdrink gewesen war. Er hatte das Gefühl,
dass es passend wäre, ein Glas des bevorzugten Getränks auf das Andenken des
alten Herrn zu trinken. Na ja, eigentlich nicht auf sein Andenken, da Tony ja
überhaupt keine Erinnerung an ihn hatte. Vielleicht auf seinen Versuch, über
das Grab hinaus Wiedergutmachung zu leisten. Selbst wenn es ein zum Scheitern
verurteilter Versuch war.
    Er nippte im Gehen daran und
ließ sich alles durch den Kopf gehen, was er über Jennifer Maidment und ihren
Mörder erfahren hatte. Etwas regte sich in seinem Hinterkopf. Etwas, das ihm
schon vorher nicht aus dem Sinn gegangen war. Aber was war es gewesen? Er
kehrte zu seiner Tasche zurück und nahm das Material heraus, das Patterson ihm
ursprünglich per E-Mail zugeschickt hatte. Fundortfotos und der Obduktionsbericht,
das interessierte ihn.
    Er studierte jedes Bild
sorgfältig und betrachtete besonders genau die Fotos von Jennifers
verstümmeltem Körper auf dem Seziertisch. Dann las er noch einmal den
Originalbericht über die Tat und achtete besonders auf die Zeitangaben. »Um Viertel
nach vier wurde Jennifer zum letzten Mal von Zeugen gesehen. Die
Vermisstenanzeige wird kurz nach neun aufgegeben. Und du kannst sie nicht nach
halb acht abgelegt haben, als die ersten beiden Schwerlastwagen-Fahrer zusammen
Pause machten, es sei denn, dass alle Lkw-Fahrer lügen. Du hattest sie also
wirklich nur für zwei Stunden.« Er legte den Bericht hin, ging wieder auf und
ab und blieb vor der kunstvoll verzierten hölzernen Einfassung des Kamins
stehen. An den Kaminsims gelehnt, starrte er auf den leeren Rost hinunter und
versuchte, sich in den Kopf von Jennifers Killer hineinzudenken, zu fühlen,
was er gefühlt hatte, zu wissen, was er gewusst hatte.
    »Du musstest sie von den
Menschen wegbringen, sie betäuben, sie mit der Plastikfolie ersticken, sie
verstümmeln und an den Ort bringen, wo du sie ablegen wolltest«, sagte er langsam.
»Wo bleibt dabei dein Vergnügen? Worin liegt der Grund dafür? Wie kommst du
dabei zu deinem Kick? Sie zu besitzen? Sie zu beherrschen?«
    Er wandte sich ab, ging zum Fenster
zurück und runzelte in der Düsternis die Stirn. »Es ist einfach nicht lang
genug. Du hast Wochen damit zugebracht, sie darauf vorzubereiten. Wofür? Für
zwei Stunden? Das glaube ich nicht. Du steckst so viel Planung rein, so viel
Zeit, so viel Energie, da willst du mehr als zwei erhaschte Stunden. Du hast
sie begehrt. Du musst diesen Durst stillen. Aber anscheinend tust du es nicht.
Du hast sie einfach umgebracht, hast sie verstümmelt und abgelegt. Das ergibt
doch keinen Sinn ...« Sein gesamtes Wissen sagte ihm, dass solche Mörder die
Zeit genossen, die sie mit ihren Opfern verbrachten. Sie suchten sich Verstecke
aus, fern von neugierigen Blicken, damit sie sich wieder und immer wieder
befriedigen konnten. Sie gingen nicht all die Risiken ein, die die Entführung
eines Opfers mit sich bringt, nur um dann die Gelegenheit verstreichen zu
lassen, das Vergnügen möglichst lange auszudehnen. Die, die lebende Beute mochten,
hielten ihre Opfer gefangen, schändeten sie immer wieder, quälten sie und
kosteten die Möglichkeit aus, ihre Träume in Fleisch und Blut umzusetzen. Oft
mit der Betonung auf Blut. Solche, die die Passivität eines toten Körpers
bevorzugten, sorgten oft mit großer Mühe dafür, dass die Leiche möglichst
lange frisch blieb. Die frühen Stadien der Zersetzung schreckten die schwer
Gestörten selten ab. Aber das war mit Jennifer nicht passiert. »Getötet,
verstümmelt und abgelegt«, wiederholte er. »Keine Zeit zum Spiel. Etwas ist
passiert, das dich abhielt. Aber was?« Es musste etwas Unvorhergesehenes
gewesen sein. Vielleicht konnte er den

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