McDermid, Val
Ort nicht mehr nutzen, an den er sie zu
bringen beabsichtigte. Oder etwas war in seinem anderen Leben aufgebrochen,
das es unmöglich machte, seine Pläne auszuführen. Was immer es war, es musste
zwingend gewesen sein. Alles andere würde einen Mörder nicht von seiner
Befriedigung abhalten, nicht, wenn er das Opfer schon in seiner Gewalt hatte.
Das ergab einen Sinn, dachte Tony. Aber nicht die Art von Sinn, die ihn
zufriedenstellte. »Getötet, verstümmelt und abgelegt«, murmelte er halblaut,
während er zu dem Tisch mit den Gläsern ging und sich eine Kostprobe aus der
zweiten Armagnacflasche eingoss. Er nahm einen winzigen Schluck und begann
wieder umherzuwandern.
Plötzlich blieb er stehen.
»Verstümmelt. Verstümmelt.« Tony schlug sich an die Stirn. Er nahm sich eilig
die Fotos noch einmal vor und fand bestätigt, woran er sich zu erinnern
glaubte. »Du hast ihre Vagina herausgeschnitten, ihren Gebärmutterhals
zerfetzt, ihre Gebärmutter aufgeschlitzt. Du hast dich wirklich ausgetobt an
ihr. Aber um ihre Klitoris hast du dich nicht gekümmert.«
Tony leerte sein Glas und kam
zum Tisch zurück, um es noch einmal zu füllen. Die Schlussfolgerung, die in
seinem Kopf herumschwirrte, schien unausweichlich. Jeder Ermittler, der mit
einem solchen Verbrechen zu tun hatte, würde sie als absurd betrachten, weil
sie so gegen die Intuition verstieß. Aber er hatte sich nie davor gefürchtet,
Möglichkeiten zu akzeptieren, vor denen andere zurückschreckten. Das war einer
der Gründe, warum Carol Jordan seinen Verstand immer hochgeschätzt hatte. Aber
er glaubte nicht, dass DI Stuart Patterson ihm die gleiche Anerkennung
entgegenbringen würde. Trotzdem ließ es sich nicht übersehen. Dies war die
einzige Möglichkeit, einen Sinn in den beiden nicht übereinstimmenden Faktoren
zu sehen, die er erkannt hatte. »Es geht nicht um einen Sexualmord«, verkündete
er in den leeren Raum hinein. »Es ist nichts Sexuelles daran. Was immer sich
hier tut, es geht nicht um sexuelle Lust.« Was eine Frage auf warf, die für
Tony noch beunruhigender war: Wenn es nicht um Sex ging, worum dann?
18
Es war nicht schwer, Alan Miles
auszumachen. Als einziger Mensch stand er vor dem Bahnhof von Halifax in einem
sanften Sprühregen, der von den Pennines herunterwehte und sich auch nicht von
der Überdachung abhalten ließ.
Carol stellte den Wagen im
Parkverbot ab und eilte rasch zu der leicht vorgebeugten Gestalt hinüber, die
die Welt durch eine Brille betrachtete, wie Carol keine mehr gesehen hatte,
seit der staatliche Gesundheitsdienst Brillen nicht mehr bezahlte. Oben ein
schwerer dicker Plastikrand, Stahldraht um den Rest der Gläser, die so dick
waren wie der Boden von Milchflaschen. Ein Gesicht wie eine Steinstatue von
der Osterinsel. Sie konnte sich vorstellen, wie er den Flegeln der elften
Klasse das Leben schwergemacht hatte. »Mr. Miles?«, fragte sie. Er drehte den
Kopf mit der Schnelligkeit einer alten Schildkröte und musterte sie.
Offensichtlich gefiel ihm das, was er sah, denn ein Lächeln von außerordentlicher
Liebenswürdigkeit verwandelte ihn vollkommen. Er hob die Hand zum Rand seiner
Mütze und lüpfte sie leicht. »Miss Jordan«, sagte er. »Sehr pünktlich. Das
gefällt mir an einer Frau.« Wenn man ihm in natura gegenüberstand, klang er wie
eine Version von Thora Hird mit tiefer Bassstimme. »Danke.«
»Ich hoffe, ich war nicht
unhöflich. Ich habe keine guten Telefonmanieren. Der Apparat verwirrt mich
total. Ich weiß, dass ich sehr abschreckend klinge. Meine Frau sagt mir, ich
sollte einfach die Finger davon lassen, damit sie es übernehmen kann.«
»Wenn ich die Wahl hätte,
würde ich es gern jemand anderem überlassen«, gestand Carol. Das meinte sie
durchaus ernst; sie hatte die letzten zwanzig Minuten damit zugebracht, mit der
Leitung des Bezirks Nord, mit Pressevertretern der Polizei und mit ihrem
eigenen Team zu sprechen, um sicherzustellen, dass alles getan wurde, was
möglich war, um Seth Viner zu finden. Und dass auch Daniel Morrison nicht
vergessen wurde. Sie hatte starke Schuldgefühle, dass sie von Bord gegangen
war. Aber sie waren nicht stark genug, um sie von ihrer anderen Mission
abzubringen.
»Aha, ich sehe, Sie sind im
Wagen gekommen. Das ist ja perfekt«, bemerkte Miles. »Wenn es Ihnen nichts
ausmacht, sich ans Steuer zu setzen, können wir zu dem Gelände fahren, wo die
Firma Blythe und Co einst florierte. Das wird Ihnen einen Eindruck von dem Ort
vermitteln. Es gibt ein paar
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