McDermid, Val
Nachbarzimmer hatte
seinen hitzigen Streit mit ebenso heißblütigem Sex beigelegt. Hinter der
anderen Wand hörte sich jemand etwas mit Motorsport an, bei dem lärmende
Motoren und quietschende Reifen eine Rolle spielten. Es war unerträglich. Und
es brachte ihn fast dazu, an das Schicksal zu glauben. Nur wusste er im Grunde,
dass, wäre es nicht der Lärm gewesen, eben etwas anderes dann den Ausschlag
gegeben hätte. Schließlich war die Auswahl reichlich. Das schlechte Licht. Das
harte Bett. Der Stuhl, dessen Höhe nicht zum Schreibtisch passte. Jeder
einzelne Umstand hätte schon die Entscheidung gerechtfertigt, die zu fällen er
drauf und dran war. Die Entscheidung, die er, wenn er ehrlich war, schon heute
Nachmittag gefällt hatte. Denn sobald er die Immobilienmaklerin wieder los
war, hatte er einer Anwaltskanzlei einen Besuch abgestattet, die vom Hotel aus
gut zu Fuß zu erreichen war.
Tony nahm die Unterlagen und
steckte sie in seine noch nicht ausgepackte Tasche. Er meldete sich nicht ab.
Das konnte bis morgen früh warten. Er stieg in seinen Wagen, fuhr den Weg
zurück, auf dem er zuvor gekommen war, und bog nur zwei Mal auf der Strecke
falsch ab. Ach, was soll's, an manchen Tagen machte er mehr Fahrfehler zwischen
dem Bradfield Moor Secure Hospital und seinem eigenen Haus. Er parkte auf der
Straße vor dem Haus, das er wohl sein eigenes nennen konnte. Obwohl ihm das
andererseits zu anmaßend vorkam. Es war fraglos noch Edmund Blythes Haus. Und
doch stellte sich Tony vor, dass ihn seine Gegenwart nicht stören würde, wenn
der Geist seines Wohltäters anwesend sein sollte.
Die Schlüssel, die ihm der
Anwalt übergeben hatte, drehten sich leicht im Einsteckschloss, und die Tür
öffnete sich ohne das leiseste Knarren. Drinnen war es herrlich ruhig. Umsichtige
Isolierverglasung dämpfte die Verkehrsgeräusche, und nicht einmal das Ticken
einer Uhr störte die Stille. Tony stieß einen zufriedenen Seufzer aus und ging
weiter in den Salon, den er schon am Nachmittag bewundert hatte. Das tiefe Erkerfenster
ging auf den Garten hinaus; allerdings war zu dieser Tageszeit in der sich
herabsenkenden Dunkelheit nicht viel zu sehen. Das obere Stockwerk bot eine
Aussicht auf die ganze Anlage, aber hier unten wirkte der Garten lauschig und
abgegrenzt; es war ein intimes Plätzchen am Haus, das der Besitzer genießen
konnte.
Er wandte sich ab, und sein
Blick fiel auf einen hohen Schrank mit CDs. Als er darauf zuging, wurden die Regale
mit einem Mal in helles Licht getaucht, worauf er erschrocken zurückprallte.
Er blickte auf und sah vorne am Schrank einen Bewegungsmelder. »Clever«,
murmelte er und warf einen Blick auf die Sammlung, die klassische Musik des
neunzehnten Jahrhunderts und wohlklingende Jazzstücke des zwanzigsten Jahrhunderts
enthielt. Offensichtlich haben ihm Aufnahmen mit schönen Melodien gefallen,
dachte Tony. Aus Neugier schaltete er den CD-Player an. Satte, weiche
Saxophonklänge in einem swingenden Rhythmus ertönten, die letzte Musik, die
Edmund Arthur Blythe ausgewählt und gehört hatte. Ein beleuchtetes Display mit
Laufschrift verkündete: »Stanley Turrentine: >Deep Purple<«. Tony hatte
noch nie von ihm gehört, aber er erkannte die Melodie und fand es schön, wie
sie auf ihn wirkte.
Er schlenderte weiter und
schaltete eine Lampe an, die genau so platziert war, dass ihr Licht auf einen
Sessel mit hoher Rückenlehne fiel, daneben stand ein passender Beistelltisch.
Die ideale Einrichtung für einen Mann, der lesen und sich vielleicht ab und zu
eine Notiz machen wollte. Tony nahm die Papiere aus seiner Tasche und machte es
sich in dem Sessel bequem. Die nächste Stunde verbrachte er mit den transkribierten
Texten bei unaufdringlicher Saxophonmusik und versuchte ein Empfinden für ZZ
zu bekommen und den Sinn der letzten lückenhaften Online-Unterhaltung zu
erkennen. »... dein ... dein ... wirklich ...«, las er immer wieder. »Dein was?
Du bist was? Du bist wer? Du bist wirklich, was? Dein wirklich ... was?« Er
rätselte herum, was »... dir sag .... dir zeig ...« bedeuten mochte. »Sagen,
das ist es. Ich werde mehr tun, als es dir sagen, ich werde es dir zeigen.
Natürlich, das ist es. Du willst es ihr zeigen, oder? Aber was? Was willst du
ihr zeigen?«
Er stand auf und wanderte
umher, während er versuchte, eine Hypothese aufzustellen, die diese unwägbaren
Lücken in dem Rätsel schloss. Je mehr er aus diesen Austausch herauslesen
konnte, desto näher kam er damit sowohl dem Opfer als
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